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Archiv-Artikel

Ein Euro ist zu billig

Alternative Vereine lehnen Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose ab. Zwang schaffe keine Motivation. Wohlfahrtsverbände wollen dagegen hunderte Billigstellen schaffen. Eine Aufgabe: Gassi gehen

VON INES KURSCHAT UND RICHARD ROTHER

Die Ein-Euro-Jobs sind Berliner Projekten und Vereinen schlicht zu billig – soweit das einhellige Ergebnis einer taz-Umfrage. Während die alternative Projektszene das Hartz-IV-Instrument überwiegend ablehnt, können sich jedoch Wohlfahrtsverbände wie die Caritas sehr gut vorstellen, Ein-Euro-Jobs in größerer Zahl zu schaffen.

Die rot-grüne Bundesregierung will zehntausende dieser Jobs installieren, mit denen Langzeitarbeitslose künftig ihr Arbeitslosengeld II – maximal 345 Euro pro Monat – etwas aufbessern können. In der Hauptstadt sollen es bis zu 50.000 sein.

„Wir lehnen diese Jobs ab, weil sie Zwangscharakter haben“, sagt Michael Behrendt von der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Erfahrungen mit dem Zivildienst hätten gezeigt, dass solche Zwangsdienste zur Vernichtung regulärer Beschäftigungsverhältnisse führten. Vor 1990 seien in Berlin etwa händeringend Pflegekräfte gesucht worden, mit Einführung des Zivildienstes habe sich das gewandelt: „Drei bis fünf Zivis ersetzen eine Stelle.“ Auch Barbara Hömberg, Projektleiterin im EWA-Frauenzentrum, sieht die Ein-Euro-Jobs kritisch: „Die Energie sollte lieber in bessere Qualifizierungsmaßnahmen gesteckt werden.“ Sie hält solche Niedriglöhne für eine „Herabwürdigung der Leistung der Menschen“.

Der Vorstand des Naturschutzbundes Berlin ist in dieser Frage noch gespalten. „Bisher haben wir uns geweigert“, sagt Nabu-Sprecher Jürgen Herrmann. Persönlich lehnt er Biotop-Pfleger zum Fast-Nulltarif aber ab. Skeptisch äußert sich auch Anke Heiser vom Kreuzberger Projekt „Bildungsbausteine gegen Antisemitismus“. Zwar hätten sich die Mitarbeiter im Projekt noch keine abschließende Meinung gebildet, „aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Menschen für so wenig Geld arbeiten lassen“.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zeigt sich ebenfalls zurückhaltend. Solche Jobs könnten lediglich die Ausnahme sein, sagt BUND-Sprecherin Carmen Schulze. „Von uns aus bieten wir die nicht an.“ Nur wenn ein Betroffener auf den Umweltverband zukäme, könne man darüber reden. „Wir brauchen motivierte Leute.“ Darauf legt auch Benno Koch großen Wert. Bei Mitarbeiten seien Motivation und Qualifikation wichtig, nicht der Dumping-Lohn, so der Sprecher des Radfahrerverbandes ADFC.

Ganz anders schätzen dagegen die großen Wohlfahrtsverbände die Lage ein. Dort sind die Billigjobber schon jetzt begehrt. Hinter den Kulissen werden eifrig mögliche Stellen ermittelt. Die Caritas Berlin rechnet mit „über hundert“, auch die Arbeiterwohlfahrt will rund 200 Jobs bereitstellen. „Bedingung ist allerdings, dass keine regulären Stellen abgebaut werden“, so AWO-Personalleiter Andreas Beckmann-Fellgiebel. Die Jobs sollten Dienstleistungen sein, die keine besondere Qualifizierung bräuchten: „Zum Beispiel vorlesen im Altersheim oder Gassi gehen mit dem Hund einer gebrechlichen Person.“

Ähnliche Einsatzbereiche sieht der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Oswald Menninger. Rund 500 Ein-Euro-Jobs könnten allein bei mobilen Hilfsdiensten entstehen. Langzeitarbeitslose würden dann mit Fachkräften bei alten oder behinderten Menschen Hausbesuche machen. Auch Menninger verspricht, dass keine Stammarbeitsplätze verloren gehen.

Zugeständnisse, Ein-Euro-Jobber nach einer Bewährungszeit fest einzustellen, wollten die Großen der Sozialbranche nicht machen. „Das hängt vom Einzelfall ab“, sagt Joachim Mordeja von der Caritas. Sollte aber eine geeignete Stelle frei werden, sei das „nicht ausgeschlossen“.