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Archiv-Artikel

Wenn Linke weinen

Gelüste sind nicht links, kontroverse Debatten auch nicht. Weil der Dogmatismus um sich greift, gerät die „Jungle World“ ins Abseits

VON KRISTINE DÖLL

Jungle World ruft zum Kampf auf. Nicht zum Kampf gegen den Kapitalismus, sondern gegen den eigenen Untergang. Die Auflage ist niedrig. So lapidar das klingt, die Jungle World ist laut Geschäftsführer Stefan Rudnick existenziell bedroht. Die Zeitung verfügt über keine anderen Einkünfte als den Verkauf. 500 neue Abonnements werden bis zum Ende des Jahres benötigt. 12.000 Exemplare setzt das überregionale Wochenblatt nach eigenen Angaben derzeit ab – vor drei Jahren waren es noch 17.000. Über kurz oder lang könnte wegen zu hoher Kosten sogar der Kioskverkauf dran glauben. „Für uns alle war von Anfang an klar, dass wir nur so lange schreiben, wie wir auch dafür honoriert werden“, sagt Rudnick gegenüber der taz.

So links die Jungle World ist, so radikal ist sie entstanden. Als 1997 der Geschäftsführer der Jungen Welt, Dietmar Koschmieder, seine Redaktion von linksradikalen Redakteuren säubern wollte, stellte sich fast die gesamte Redaktion hinter den gekündigten Chefredakteur Klaus Behnke und trat in den Streik. Daraufhin hagelte es weitere Kündigungen. Koschmieder hatte sein sauberes Blatt – und aus der ehemalige Redaktion der Jungen Welt wurde die Jungle World.

Hauptleser des Blatts waren von Anfang an StudentInnen und junge Akademiker. Hier liegt das profane Problem der Jungle World: Die finanzielle Situation dieser Zielgruppe verschlechtert sich zusehends, so steht es jedenfalls bei den meisten Abokündigungen.

Doch weit wichtiger ist das Weltanschauliche: Bei den meisten Abbestellungen stehen politische Gründe im Vordergrund. Die Jungle World ist Opfer der gesamten Entwicklungen in der deutschen Linken. So forderte die Linke ein Zentralorgan – mit Platz für offene und vielfältige Debatten. Eigentlich die Quadratur des Kreises: Die Jungle World versuchte eine Plattform für unterschiedliche Positionen zu sein. Doch offenbar sorgt die Tendenz zur Polarisierung innerhalb der Linken dafür, dass die Zeit kontroverser Debatten vorbei ist. Miteinander wird ohnehin nicht mehr diskutiert, sondern nur noch gegeneinander.

Positionskampf

Als gäbe es keine wichtigeren Themen als die Frage, wer nun wirklich und wie links ist, wer welcher Tradition folgt und wer das Sprachrohr der einzigen Wahrheit ist. Denn es gibt ja nur eine – die jeweils eigene. Da die Jungle World eben gerade verschiedene Positionen bezieht, kann sie es niemandem recht machen. Mal freut sich die Linke, mal die linke Linke oder die noch linkere Linke.

Nun kann man der Jungle World auch durchaus vorwerfen, beim Nahostkonflikt und Irakkrieg extreme Positionen zu beziehen. So lief einem bei einigen Artikeln des Bellizisten Thomas von der Osten-Sacken ein kalter Schauer über den Rücken. Wer das Abwerfen von US-Bomben auf den Irak unterstützt, weil sich die Menschen dort darüber freuen und Israel endlich von der Bedrohung durch Saddam Hussein befreit würde, fordert auch regelmäßigen LeserInnen einiges ab.

Was die Jungle World und ihre AutorInnen auszeichnet, sind ihre Unabhängigkeit und die Verweigerung, sich von der Politik instrumentalisieren zu lassen. Großes Talent zur intelligenten Verstrickung von Zusammenhängen haben sie sprachschön inszeniert.

Ob nun eher eine Hassliebe zur Jungle World besteht oder ob man sich links, radikal oder sonst wie zu ihr bekennt – für Kontroverse sorgt sie allemal. Und ohne die Jungle World würde etwas fehlen. Die desorientierte Linke braucht ein pluralistisches Debattenblatt, sonst verliert sie sich endgültig im ideologischen Gezänk. Jetzt droht ausgerechnet der Umstand, dass keiner bereit ist, seine Positionen zu hinterfragen, der Jungle World das Genick zu brechen. Damit verschwände auch das Beste im Blatt, die Kolumnen vom „letzten linken Studenten“. Der hantiert einmal im Monat mit seinem kleinen goldenen Notizbuch, um sich die neueste linke Weisheit aufzuschreiben, und spießt so wunderbar selbstironisch die Abgründe linker Ideologien auf: Der letzte linke Student ist verliebt, darf es aber nicht sein, weil er ja links ist. „Begehren ist eine heikle Sache, denn B. bringt Gelüste hervor – und G. sind nicht links! Wenn sie aber dem L-sein entgegenstehen, darf seinen G. nicht nachgeben!“ – Der letzte linke Student weint.