Proteste im Auftrag des Kreml

In Moskau demonstrieren über 100.000 gegen den Terror. Organisator sind Regierung sowie staatliche Gewerkschaften. Präsident Putin lehnt öffentliche Untersuchung der Geiseltragödie ab

MOSKAU dpa/afp/taz ■ Trauer und Protest: Am zweiten Tag der landesweiten Staatstrauer zum Gedenken an das Geiseldrama in Nordossetien haben über hunderttausend Menschen in Russland gegen den Terrorismus demonstriert. Flankiert von hunderten von Sicherheitskräften gingen sie in Moskau gestern auf die Straße. „Russland gegen den Terror“, hieß es auf Plakaten. Die Kundgebung hatten der Kreml, die Stadtverwaltung und die staatlichen Gewerkschaften organisiert.

In Jekaterinburg gedachten etwa 20.000 Menschen der Opfer der Geiselnahme. In Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens, demonstrierten etwa 400 Menschen gegen Terrorismus. „Korruption ist eine Quelle des Terrors“, stand auf einem Plakat. Auf Flugblättern wurde der nordossetische Präsident Aleksander Dsasochow zum Rücktritt aufgefordert. „Heute beerdigen wir unsere Kinder und morgen kommen wir hierher und jagen diese Teufel aus ihren Ämtern, vom untersten Abteilungsleiter über Minister bis zum Präsidenten“, sagte ein Sprecher.

Russische Medien reagierten mit Ironie auf die von oben verordnete Kundgebung. Die Zeitung Iswestija, deren Chefredakteur vor zwei Tagen wegen Kreml-kritischer Berichterstattung abgesetzt worden war, titelte auf der ersten Seite: „Das Treffen wird sich nicht gegen die Regierung richten“, und kommentierte, die Botschaft der Organisatoren sei klar: „Keine kritischen Fragen an die Regierung, nur an sich selbst.“

Trotz anhaltender Medienkritik wandte sich Russlands Präsident Wladimir Putin gegen eine öffentliche Untersuchung der Geiselnahme und ordnete stattdessen eine interne Prüfung an. Eine Untersuchung durch das russische Parlament würde nur in einem „politischen Spektakel“ enden, sagte Putin am Vorabend in einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten. Einen Zusammenhang zwischen seiner Tschetschenien-Politik und der Geiselnahme in Beslan wollte Putin nicht erkennen. Verhandlungen mit tschetschenischen Nationalisten schloss er aus.

In einem Bericht des russischen Staatsfernsehens bestätigte ein festgenommener Geiselnehmer die Version des Kreml zu den Hintergründen des Geiseldramas. Auftraggeber seien Tschetscheniens Expräsident Aslan Maschadow und der Top-Terrorist Schamil Bassajew gewesen.

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