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Archiv-Artikel

Italienisches Roulette

Mit einer Rentenreform riskiert Premier Silvio Berlusconi eine erbitterte Konfrontation mit den Gewerkschaften

ROM taz ■ Italiens Regierung plant eine Rentenreform mit einer deutlichen Schlechterstellung für diejenigen Arbeitnehmer, die von 2008 an in Rente gehen. Dies kündigte Ministerpräsident Silvio Berlusconi in einer am Montagabend von allen drei Kanälen der staatlichen RAI übertragenen TV-Ansprache an.

Berlusconi zeichnete ein dramatisches Bild der Situation. Ohne die geplanten Eingriffe werde das Rentensystem im Jahr 2030 kollabieren, weshalb die Schnitte „notwendig, aber auch gerecht“ seien. Im Detail ist vor allem die faktische Abschaffung einer Besonderheit vorgesehen, wonach bisher Arbeitnehmer nicht bloß bei Erreichen der Altersgrenze ausscheiden, sondern auch nach 35 Beitragsjahren, wenn sie mindestens 57 Jahre alt sind. Ab 2008 soll diese Schwelle auf 40 Beitragsjahre angehoben werden – einen Wert, den bei den heutigen Erwerbsbiografien nur eine kleine Minderheit vorzeitig erreicht. Ansonsten gilt dann für Männer das Rentenalter von 65, für Frauen das von 60 Jahren. Bis 2007 dagegen sollen Arbeitnehmer, die freiwillig über die 35 Jahre hinaus arbeiten, einen Bonus kriegen: Ihnen sollen die fälligen Rentenbeiträge von 32 Prozent des Lohns bar als Einkommensaufschlag ausgezahlt werden.

Mit diesem Plan setzten sich Berlusconi und sein Finanzminister Giulio Tremonti gegen den harten Widerstand des Koalitionspartners Lega Nord durch: Umberto Bossis Partei fürchtet, dass die Neuregelung vor allem im wirtschaftlich reichen Norden unpopulär ist. Zudem geht Berlusconi auch auf offenen Konfrontationskurs zu den Gewerkschaften. Die weisen darauf hin, dass die Rentenreform von 1995 – mit Grausamkeiten wie dem demografischen Faktor in der Rentenformel – allen Zahlen zufolge gut funktioniere.

Berlusconi gehe es nur darum, Mahnungen aus Brüssel abzuwehren. Dort wird aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass im jetzigen Haushaltsentwurf 2004 vor allem Einmal-Maßnahmen die Einhaltung des Stabilitätspakts garantieren sollen. Deshalb habe Berlusconi mit einem strukturellen Eingriff bei den Renten bei der EU Punkte sammeln wollen.

Mit der Rentenoffensive spielt Berlusconi hohes Risiko. Ihm dürfte unvergessen sein, dass seine erste Regierung 1994 nicht zuletzt an den massiven Gewerkschaftsprotesten gegen Renteneinschnitte und am Bruch mit der Lega Nord scheiterte. Von den drei großen Gewerkschaftsbünden muss Berlusconi auch jetzt wieder erbitterten Widerstand erwarten. Gestern beschlossen die Vorsitzenden von CGIL, CISL und UIL einen vierstündigen landesweiten Generalstreik für den 24. Oktober.

Die Bünde verübeln Berlusconi nicht allein den Eingriff in der Sache, sondern auch in der Form, den definitiven Bruch mit den bisher üblichen Formen der Konzertierung zwischen Regierung und Gewerkschaften. Berlusconi hatte deren Spitzen erst wenige Stunden vor seinem Fernsehauftritt in Kenntnis gesetzt, um gleich darauf mit seiner Ansprache vollendete Tatsachen zu schaffen. MICHAEL BRAUN