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Archiv-Artikel

Im Visier des Jägers

Der wiedergenesene Tommy Haas erreicht zum ersten Mal in seiner Karriere die Runde der letzten acht bei den US Open. Dort trifft er auf den wiedererstarkten Ex-Champion Lleyton Hewitt

AUS NEW YORK DORIS HENKEL

John Newcombe versteht was vom Tennis; in den Sechziger- und Siebzigerjahren hat der Australier sieben Grand-Slam-Titel gewonnen. Und seine Jungs kennt er auch; schließlich war er eine Zeit lang Kapitän des australischen Davis-Cup-Teams, und bei jedem großen Turnier ist er obendrein als Fernsehkommentator und engagierter Beobachter dabei. Man kann also davon ausgehen, dass „Newk“ der richtige Mann für ein fundiertes Urteil über Lleyton Hewitt ist. „Ich sehe es in seinen Augen“, hat er dieser Tage gesagt, „er hat wieder den Blick des Jägers und nicht mehr den des Gejagten.“

So blumig hätte Tommy Haas das nicht beschrieben – das ist nicht seine Art. Aber dass der Kollege Hewitt wieder öfter Leute an den furchtlosen Kämpfer erinnert, der er vor zwei, drei Jahren gewesen ist, ist Haas natürlich auch nicht entgangen. Er weiß ebenso gut, was ihn im Viertelfinale am Donnerstag gegen Hewitt erwartet, wie umgekehrt – und für beide gibt es genügend Gründe, Respekt voreinander zu haben.

Hewitts Sieg gegen den überforderten Slowaken Karol Beck im Spiel der vierten Runde war der 14. in Serie seit Anfang August. Während sich die Kollegen bei den Olympischen Spielen in Athen tummelten, zog er ganz bewusst eine Linie von Cincinnati über Washington nach New York, spielte bei den Turnieren auf dem gleichen Belag, mit den gleichen Bällen und unter ziemlich ähnlichen Bedingungen wie bei den US Open. Als Einziger neben Titelverteidiger Andy Roddick hat er bisher in vier Spielen keinen einzigen Satz abgegeben.

Aber mehr als Zahlen zählen Beobachtungen der Gegner. Der spanische Beau Feliciano Lopez meinte nach der Niederlage gegen Hewitt in Runde drei: „Ich hatte das Gefühl, dass der Ball selbst nach meinen besten Schlägen immer wieder zurückkommt.“ Nach den besten wohlgemerkt, und das ist der Punkt. Dieses Gefühl zermürbt ungeheuer, und in Verbindung mit Hewitts feurigem Gehabe nimmt es dem Gegner die Luft.

Der Australier kann die Frage, ob er sich wieder so stark fühle wie 2001, als er bei den US Open seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann, und 2002, dem Jahr seines Sieges in Wimbledon, allmählich nicht mehr hören. Er sieht sich seit dem Erfolg der Australier im Davis-Cup-Finale 2003 auf dem richtigen Weg, und für seine Niederlagen bei den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris und Wimbledon in diesem Jahr gibt es ziemlich gute Gründe. Sie heißen Federer, Gaudio und Federer – es waren in allen drei Fällen die späteren Sieger, gegen die er verlor.

Selbstbewusst und solide wie ein Fels aus Granit steht Hewitt nun wieder da und erwartet den Fortgang der Dinge. Und er erwartet einen Gegner, den er in den höchsten Tönen lobt. „Tommy ist ein Top-Five- oder Top-Ten-Spieler, egal, was er gerade für ein Ranking hat. Er ist ein Typ für große Spiele, und es überrascht mich überhaupt nicht, ihn wieder auf diesem Niveau siegen zu sehen.“ Na ja, von außen sehen die Dinge oft leichter aus, als sie sind. Dass er nach seiner Auszeit von 15 Monaten und nach zwei Operationen an der rechten Schulter zum ersten Mal in seiner Karriere das Viertelfinale der US Open erreicht hat, ist für Haas alles andere als eine Selbstverständlichkeit. „Das ist für mich selbst eine Wahnsinns-Geschichte“, sagt er. „Tief im Inneren bin ich überrascht, dass es wieder so gut läuft.“

Beim Sieg (7:6, 6:1, 7:5) gegen den jungen Tomas Berdych, von dem man mit einiger Wahrscheinlichkeit in Zukunft noch hören wird, hatte Haas Glück, dass der Tscheche im Tiebreak des ersten Satzes drei Satzbälle in Folge vergab, aber nach dieser kritischen Phase hatte er die Partie bis zum Ende souverän im Griff. In einer merkwürdigen Atmosphäre übrigens, denn auf den Rängen des 23.000 Zuschauer fassenden Arthur-Ashe-Stadions verloren sich nur ein paar Tausend. Die genossen in erster Linie den Sonnenschein und wurden nur manchmal von den quietschenden Schuhsohlen der Tennisspieler aufgeschreckt.

Im Viertelfinale wird garantiert mehr Musik im Spiel sein – so wie jedes Mal bei dieser Konstellation. In der Bilanz führt Hewitt 6:5, der letzte Sieg stammt von den German Open in Hamburg aus diesem Jahr, aber das ist sicher nicht die Partie, an die Haas beim Namen Hewitt zuerst denkt. Vor drei Jahren spielten die beiden in New York im Achtelfinale gegeneinander, Haas begann großartig, gewann den ersten Satz und führte im zweiten, als das Spiel wegen Regens abgebrochen wurde. Bei der Fortsetzung am nächsten Tag war Hewitt nicht zu bremsen. Er selbst spielte eine Klasse schlechter als am Abend vorher, und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Und nun? „Wir wissen beide, dass wir einen guten Tag erwischen müssen, um zu gewinnen“, sagt Tommy Haas. Gutes Wetter brauchen sie auch. Die Meteorologen haben behauptet, es sei auch diesmal wieder Regen auf dem Weg.