Sag‘s noch einmal, Gerd!

Im Bundestag spult Schröder seine Kanzlerwahrheiten ab. Und Merkel versucht davon abzulenken, dass sie vollkommen ratlos ist, wenn es konkret wird

VON ULRIKE WINKELMANN

Mit den Worten „Generaldebatte“ und „Kanzleretat“ wird Gewicht angedeutet. Wenn eine Generaldebatte um den Kanzleretat sich dann noch mit einer „Halbzeitbilanz“ verbindet – dann firmiert ein Schlagabtausch im Bundestag zwischen Bundeskanzler und Oppositionschefin schon fast unter „Kampf der Giganten“.

Wie gut also, dass es einen Michael Glos von der CSU gibt. Der Unions-Vizefraktionschef eröffnet die Generaldebatte mit einem soliden Stück Politsatire und garantiert so, dass niemand im Bundestag an Bedeutung ersticken muss. Die Beteiligung der Vereinigten Arabischen Emirate am Volkswagen-Konzern ist Glos’ großes Thema. „Die Ölscheichs bedanken sich bei Hartz“ – dem Personalvorstand von VW – „für das Schnäppchen Deutschland!“, ruft Glos und macht den Kanzler für den „Ausverkauf an Abu Dhabi“ verantwortlich.

Des Weiteren schlägt Glos dem Kanzler vor, seinen Arbeitsminister Wolfgang Clement „gefesselt“ den Gewerkschaften auszuliefern, damit sie ihre „Aggressionen an ihm austoben“ könnten. Er erregt sich weiter darüber, dass Koalitionspolitiker in „Luxushotels“ schlafen. Und Außenminister Joschka Fischer lasse „die Schleusen öffnen“ und habe so fünf Millionen Illegale nach Europa geholt.

Nach solch einem Auftakt ist das folgende Gerangel darum, wer im Bundestag die größten Verdienste um Wahrhaftigkeit, Transparenz und Integrität erwirbt, ins rechte Licht gerückt.

Das Rezept Schröders zur Herstellung von Glaubwürdigkeit lautet: Ich sag’s einfach noch mal. Der Kanzler spult seine Kanzlerwahrheiten von den Herausforderungen 1. Terror, 2. Globalisierung, 3. Alterung der Gesellschaft routiniert ab. Die Mischung 1. EU-Verfassung dank Rot-Grün, 2. Steuersenkungen dank Rot-Grün, 3. Gesundheitsreform wirkt! ist gekonnt.

Doch es könnte sein, dass das nicht mehr reicht. Die Diskussion um die „Hartz IV“ genannte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat in den vergangenen Monaten das Sommerloch zugeschüttet und damit eine dringend nötige politische Erholungspause vernichtet. Das Vokabular ist abgenutzt.

Die Angriffe auf die Opposition, die im Vermittlungsausschuss Härten ins Gesetz hineindrückt, die zu verteidigen sie sich dann scheut – sie sind berechtigt, aber mindestens einmal zu oft gehört. Auf zwei Kabinettsklausuren, in Neuhardenberg und jüngst in Bonn, wurde nur bestätigt, dass Hartz IV nun sauber umzusetzen sei, sonst aber alle Ideen bestenfalls noch für den Bundestagswahlkampf 2006 taugen. „Reformprozesse sind nie zu Ende“, sagt der Kanzler und ist doch die sprechende Stagnation. Die „Zukunft, die wir nun wirklich nicht Schwarz in Schwarz malen müssen“, malt er selbst nicht aus.

Er vermeidet den Hinweis auf die Bürgerversicherung, die ihm von seiner Partei doch als Hoffnungs-Bauplan angetragen wurde. Größere Investitionen in Forschung und Entwicklung macht er davon abhängig, dass die Opposition der Abschaffung der Eigenheimzulage zustimmt. Ein Köder, den die Union schon seit Monaten vergammeln lässt.

So auch heute. Angela Merkel hat gar keine Lust, über konkrete Vorschläge zu reden. Sie muss erst einmal davon ablenken, dass sie vollkommen ratlos ist, wenn es konkret wird.

So schiebt sie auch den Gesetzesvorschlag von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beiseite, statt einer Extra-Versicherung des Zahnersatzes einfach ein paar Kassenbeitrags-Prozentpunkte zu verlagern. Obwohl sie genau weiß, dass der Vorschlag gut ist. Merkel hofft, dass in ein paar Wochen schlicht vergessen ist, dass sie selbst doch die Zahnersatzversicherung zum Pauschalpreis als Modell für ihre Kopfpauschale gehandelt hat. Nun muss sie darauf setzen, dass der Untergang der „kleinen Kopfpauschale“ für den Zahnersatz im Vermittlungsausschuss nicht so auffällt.

Damit dies nicht so nach Taktik aussieht, erklärt sie, dass sie Schmidts Vorschlag ablehne, weil er nur Taktik sei: „Ich habe den Argwohn, dass es um mehr geht als bloß um (die Vermeidung von) Bürokratie“, sagt sie. Auch der Vorschlag, zwar ein Referendum über die EU-Verfassung zu ermöglichen, dies aber mit mehr Volksbeteiligung im Grundgesetz zu kombinieren, lehnt sie aus gleichem Grund ab: „Politik muss wahrhaftig sein und darf nicht taktisch sein.“

Schröder treibe mit seiner Unglaubwürdigkeit die Bürger in die „Leere, Wahlenthaltung, Flucht in die Radikalität“, erklärt Merkel. Reine Schlagwort-Politik betreibe er, ruft sie: „Begriffe, Begriffe, wie ein Hamster im Laufrad – nur wird nicht deutlich, wo das hingeht!“ Taktik gegen Taktik, Formeln gegen Formeln: „Patriotismus ist, vorsorgen zu können.“ Innovation brauche „Freiheit“. Die Union biete „Corporate Governance“, nämlich „Politik aus einem Guss.“ Das, ruft Merkel in wachsendes ironisches Gejohle bei den Koalitionsfraktionen, „ist die neue Union des 21. Jahrhunderts!“

Immerhin aber hat Merkel ein Projekt beim Namen genannt: Die Kopfpauschale, der Einheitsbeitrag zur Krankenkasse, heißt bei ihr Gesundheitsprämie. Kein Wort darüber, dass der Ausgleich zwischen Arm und Reich Steuermilliarden braucht. Aber: „Die Gesundheitsprämie schafft Arbeitsplätze“, sagt Merkel. Dies dürfte das Leitmotiv ihres Wahlkampfs werden: Hohe soziale Kosten, aber noch größerer Ertrag – Arbeit nämlich.

Ein Versprechen, das noch immer gebrochen wurde. Von allen.