: „Das ist reine Willkür“
Der Verwaltungsrichter und Exchef des Deutschen Intituts für Menschenrechte, Percy MacLean, kritisiert den Umgang der Ausländerbehörde mit traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen
Interview HEIKE KLEFFNER
taz: Die Ausländerbehörde will Kriegsflüchtlinge aus Exjugoslawien abschieben. Die Behörde glaubt, dass viele Flüchtlinge traumatische Erlebnisse erfinden. Welche Erfahrungen haben Sie als Richter damit gemacht?
Percy MacLean: Als Gericht und Behörde kommt man hier an seine Grenzen. Es sind keine ganz normalen Flüchtlinge oder Asylbewerber, die irgendwelche Geschichten erzählen, deren Glaubwürdigkeit man dann mit dem üblichen Instrumentarium auf Widersprüche überprüfen könnte. Es handelt sich um seelisch verletzte Menschen, die sich krankheitsbedingt in Widersprüche verwickeln. Deshalb ist es notwendig, dass geübte Therapeuten die Exploration machen.
Worin besteht das Hauptproblem bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus Exjugoslawien?
Diesen Menschen wurde bei ihrer Ankunft die Aufenthaltsbefugnis verweigert, obwohl dieser Status ihnen vom Gesetzgeber zugedacht war. Man hat sie mit der Duldung abgespeist, die nur für kurze Zeiträume gedacht ist. Sie dürfen nicht arbeiten, müssen im Land Berlin bleiben. Die Flüchtlinge konnten deshalb nicht nach einem bundesweiten Schlüssel verteilt werden.
Wozu führte das?
Berlin wurde überproportional belastet und hatte dadurch eine schwere finanzielle Last zu tragen. Das wiederum hat dazu geführt, dass man versucht hat, diese Menschen wegzudrängen.
Bosnische Traumatisierte haben nun ein Recht auf eine Aufenthaltsbefugnis. Allerdings müssen sie vor dem 1. Januar 2000 wegen der Traumatisierung in fachärztlicher Behandlung gewesen sein. Und die entsprechende Weisung gilt nicht für Fälle, die von der Ausländerbehörde vorher„abschließend bearbeitet“ wurden. Wie sollte die Innenverwaltung mit dieser Gruppe umgehen?
Dazu gibt es drei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts von verschiedenen Kammern, die diese Einschränkung als willkürlich angesehen haben. Demnach sollten Flüchtlinge, deren Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, in die Vergünstigungen einbezogen werden, weil es keinen sachlichen Grund dafür gibt, sie herauszunehmen. Außer dass das der Behörde die Arbeit erleichtert. Das ist aber nach gefestigter Rechtsprechung reine Willkür.
Wie beurteilen Sie den Stichtag 1. Januar 2000?
Die Entscheidung für diesen Stichtag hat meine Kammer unter anderem deshalb als willkürlich eingestuft, weil es Zufall war, ob der Betreffende zu jenem Zeitpunkt überhaupt einen Therapieplatz bekommen konnte.
Was halten Sie von der Praxis der Ausländerbehörde?
Die Mitarbeiter müssten an Schulungen teilnehmen, um traumatisierten Flüchtlingen gegenüber sensibler zu werden. Die seelisch schwer kranken Menschen dürfen nicht zu Schmarotzern degradiert werden, die nur von Sozialleistungen profitieren wollen. Da sehe ich großen Fortbildungsbedarf, der auch angeboten, aber nicht genutzt wird.
Mangelt es an politischer Kontrolle der Behörde?
Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Ich habe aber den Eindruck, dass sich der zuständige Staatssekretär bemüht.