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Archiv-Artikel

„Man kann sich ja alles ausdenken“

Der Joystick wird zur Kamera: Hugh Hancock benutzt Computerspiele nicht nur, um damit in der virtuellen Welt herumzuballern. Er lässt seine Spielfiguren ihre eigenen Filme drehen. Das ist sehr viel billiger, einfacher und schneller, als komplizierte Computeranimationen zu programmieren

Interview VERENA DAUERER

taz: Was bedeutet das Wort „Machinima“?

Hugh Hancock: Filme in der virtuellen Realität zu drehen. Den virtuellen Raum als realen zu denken und in einem virtuellen Filmset virtuelle Menschen virtuell zu filmen.

Eine andere Art Computerspiel?

Ursprünglich ja. Die meisten modernen 3-D-Game-Engines erzeugen die Illusion eines dreidimensionalen Raumes. Sie liefern außerdem die Figuren, die der Spieler kontrolliert. Diesen Raum kann man nun theoretisch für alles hernehmen. Statt sich gegenseitig abzuballern, kann man zum Beispiel Rennen veranstalten oder Schach spielen. Oder eben Filme drehen.

Kann man jedes Computerspiel dazu verwenden?

Es geht nur um einen 3-D-Raum. Man braucht nur genügend Möglichkeiten, ihn zu modifizieren.

Muss man dazu den Quellcode verändern?

Muss man gar nicht. Man nimmt einfach eine der Perspektiven der Figuren, die ist ja wie eine Kamera. Zum Wesen eines Computerspiels gehören Figuren, die von Menschen in der realen Welt kontrolliert werden. Sie laufen herum und übertragen ihre Sicht auf den Bildschirm. Man braucht überhaupt keine Kontrolle über das Spiel selber zu haben, um ein Machinima zu drehen.

Was lässt sich damit nun anstellen?

Machinima ist ein unheiliger Hybrid aus Film, Animation und Puppentheater. Verglichen mit Animation hat es das Tempo einer Filmproduktion. Computergenerierte Animation ist unglaublich anstrengend und sehr langsam. Ich kenne einen Experten, der eine Woche daran arbeitet, eine Figur eine Minute lang zu bewegen. Die führende Firma Pixar hat nach Jahren mit hunderten von Leuten einen Zweistundenfilm herausgebracht. Wenn man dagagen in Machinima einmal eine Figur entwickelt hat, kann man damit in Echtzeit filmen. Außerdem braucht man kein Equipment. Man kann sich ja alles ausdenken, was man drehen will, und sofort umsetzen.

Wie wird das die Spiele- und Filmindustrie verändern?

Die Spieleindustrie wird entdecken, dass nicht nur die Spiele, sondern auch die 3-D-Echtzeit-Engines Geld einbringen. Für die Filmindustrie gibt Machinima den Leuten nicht nur die Möglichkeit, schnell und billig Geschichten zu erzählen, sie erlangen auch die Kontrolle über den Vertrieb. Wenn du nur einen Monat Arbeit für deinen Film reinholen musst, hast du nicht dieselben Ansprüche, und die Vertriebsfirmen haben nicht dieselbe Macht über dich, die sie hätten, wenn du einen 200.000-Pfund-Independent-Film gemacht hättest. Man produziert mehrere Machinimas mit wenig Aufwand, kann sie rausbringen und sich ein Publikum aufbauen. Das kann so weit kommen, dass der Filmemacher direkt mit dem Publikum verhandelt statt mit den Vetreibern. Auch unabhängige Filme sind heute ja nicht erfolgreich, weil 20 Millionen Zuschauer im Kino sitzen, sondern weil sie 400 Leuten in den Vetriebsfirmen gefallen haben. Das ist verrückt. Oder aber, vergiss mal das Wort „Porno“ für einen Moment: Aus der Perspektive eines Filmemachers ist das Modell der Pornoindustrie im Internet fantastisch. Eine Menge Leute machen Filme in ihrem Hinterhof, ohne dass ihnen jemand reinredet. Und sie können davon leben. Das ist Utopia fürs Filmemachen. Vielleicht werden in Zukunft Filmemacher direkt vom Publikum dafür bezahlt werden. Einem Publikum von vier- bis fünfhundert Leuten. Es kann doch nicht nur 300 Auserwählte auf der ganzen Welt geben, die ihre Visionen verwirklichen dürfen! Bei der derzeitigen Vertriebsart gibt es aber nicht mehr. Natürlich wird auch Hollywood Machinima nutzen, für Vorstudien, beim Fernsehen wird es Kosten sparen – die BBC ist mit „Time Commander“ schon dabei.

Wird es auch die Ästhetik von Filmen verändern?

Das Aussehen von Computerspielen führt, je differenzierter es wird, eine neue Ästhetik ein. Machinima hat das Potential, die Art, wie Computer Grafik gemacht wird, zu verändern. Weil es so schnell ist, kann man damit viel mehr spielen und experimentieren. Was uns hoffentlich auch mehr Freiheiten bei der Computergrafik geben wird.

Aber Machinimas sehen doch immer noch aus wie Computerspiele.

Das wird auch noch ein Nachteil für die nächsten eineinhalb Jahre bleiben. Wenn du aber mal den Trailer für die aktuellen „Half-Life 2“ und „Doom 3“ gesehen hast, dann ist absehbar, dass es in spätestens zwei Jahren keinen Unterschied mehr zur Computergrafik gibt. „Doom 3“ zum Beispiel schaut aus, als sei Pixar von George Romero und Sam Reimi übernommen worden.

Das Magzin Wired behauptet, dass Machinima auf dem Stand von „Toy Story“ von vor fünf Jahren stehe …

Nun, schon ein wenig mehr. Heute ist Machinima auf der Höhe von „Luxo Jr.“ , dem ersten Animationsfilm von Pixar. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren unsere erste „Toy Story“ oder unser erstes „Casablanca“ sehen werden.

verena@de-bug.de