„Kapitaldeckung ist eine Illusion“

Der Arbeitnehmerchef der CDU findet das Gerechtigskeitsverständnis von Angela Merkel fragwürdig. Es sei falsch, die Freiheit wichtiger zu nehmen als Gerechtigkeit und Solidarität. Die Umstellung der Sozialsysteme auf Kapitaldeckung funktioniere nicht

Interview HEIDE OESTREICH

taz: Herr Arentz, Angela Merkel hat sich in ihrer Grundsatzrede sämtliche Vorschläge der Herzog-Kommission zum Thema Sozialsysteme zu Eigen gemacht. Hat Ihre Vorsitzende auch Ihnen aus dem Herzen gesprochen?

Hermann-Josef Arentz: Können Sie die Frage nicht freundlicher formulieren?

Noch freundlicher?

Also gut, diplomatische Antwort: bei manchen Passagen mehr als bei anderen.

Bei welchen Passagen bekommen Sie Bauchschmerzen?

Ich halte das Gerechtigkeitsverständnis, das in dieser Rede formuliert wird, für ausgesprochen fragwürdig. Gerechtigkeit ist sehr viel mehr als „Verlässlichkeit“ oder als der Grundsatz „Keine Leistung ohne Gegenleistung“. Ihre Forderung, dass der Dreiklang von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit zugunsten der Freiheit verschoben werden muss, ist aus meiner Sicht eindeutig falsch. Auch was sie zur sozialen Sicherung sagt, ist sehr diskussionsbedürftig.

Sie haben sich schon mehrfach gegen Herzogs Vorschläge ausgesprochen. Ein Beispiel wären die Kopfpauschalen bei der Krankenversicherung. Ihre Vorsitzende scheint das nicht sehr beeindruckt zu haben.

Es ist das gute Recht der Vorsitzenden, ihre Meinung prononciert zu vertreten, so wie ich prononciert die Meinung der Arbeitnehmer vertrete. Die Diskussion hat ja gerade erst begonnen.

Prinzipiell wollen die Herzog-Kommission und nun auch Angela Merkel die Sozialversicherungen eher über den Kapitalmarkt finanzieren. Ist das ein gangbarer Weg?

Das ist eine Illusion. Die Kapitaldeckung ist genauso wenig demografiefest wie ein Umlageverfahren. Sehen Sie sich die Zinsen der Lebensversicherungen an: Sie werden immer weiter abgesenkt. Der einzige Weg ist ein Mischverfahren, wie wir es jetzt bei der Rente versuchen: Umlage bei der gesetzlichen, Kapitaldeckung bei der betrieblichen und privaten Vorsorge.

Die Bürgerversicherung, das von Ihnen vertretene Alternativmodell, soll laut Herzog aber nur 0,1 Prozentpunkt der Beiträge einsparen.

Wenn man das Bürgerversicherungsmodell aus dem Rürup-Bericht zugrunde legt, bringt das zwei Prozentpunkte. Das löst nicht alle Probleme, aber es kann einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus muss man sehr viel mehr Wettbewerb ins System bringen, um zu sparen.

Wie erklären Sie sich, dass die Kommission zu Ergebnissen kommt, die die Geringverdiener stark belasten?

Es ist die Aufgabe der CDA, diesen sozialen Ausgleich hineinzubringen. Dabei muss man realistisch sein: Das, was Herzog an Steuermitteln bräuchte, um sein System zu finanzieren, ist in keinem momentan verhandelten Steuerkonzept enthalten.

Die Diskussionsvorlage hat aber diese Schlagseite: Sollte das Präsidium sich dies zu Eigen machen – wie groß ist dann Ihr Handlungsspielraum?

Der Handlungsspielraum ist riesig, wir fangen ja gerade erst an. Unser Parteitag ist schließlich erst im Dezember.