: Ab nach Afghanistan, so schnell wie möglich
Deutsche Behörden betrachten die Sicherheitslage in Afghanistan als stabil genug für Rückführung. Zu Recht?
BERLIN taz ■ Es war der ehemalige Innensenator Hamburgs, Ronald Schill, der im Juni dieses Jahres den ersten Afghanen aus der Hansestadt abschob. Der 32-Jährige hatte wegen gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung seit Mai 2001 im Gefängnis gesessen.
Ein weiterer Afghane wurde Mitte September aus Hannover „rückgeführt“, wie es im Behördenjargon heißt. Auch in diesem Fall suchten sich die Behörden einen ihrer Ansicht nach „exemplarischen“ Straftäter. Wobei der 25-Jährige nicht etwa verurteilt war, sondern im Verdacht stand, sich eine falsche Identität zugelegt zu haben. Das niedersächsische Innenministerium betont, dass bisher keine vergleichbaren Fälle in der Schublade liegen.
In Bayern bereiten die Behörden die Abschiebung einer Frau vor, die wegen Drogenhandels im Gefängnis sitzt. Ihre Strafe läuft demnächst aus, nun muss nur noch ihr Bleiberecht gerichtlich beendet werden, erklärt das Innenministerium.
Alles Einzelfälle? Grundsätzlich sollen in Deutschland lebende Afghanen noch nicht abgeschoben werden, darüber herrscht in der Republik Einigkeit. Doch ein Hebel nach dem anderen wird umgelegt, um dafür den rechtlichen Rahmen und öffentliche Akzeptanz zu schaffen. Grundlage für die genannten Abschiebungen ist ein Beschluss der Länderinnenminister vom Mai dieses Jahres.
Die Minister setzen darauf, zunächst die abzuschieben, von denen sie denken, dass die deutsche Öffentlichkeit sie nicht verteidigen würde. „Mit Vorrang“ können demnach verurteilte Straftäter und Menschen, von denen eine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht, „rückgeführt werden“. Dabei in Betracht gezogen werden können auch Dauer des Aufenthalts und Grund der Einreise, Familienstand und Ausbildung oder Berufstätigkeit.
Die Länder brachten bei der Gelegenheit „ihre Erwartung zum Ausdruck, dass möglichst bald mit der Rückführung begonnen wird“. Eine Gruppe, die dafür als Erstes in Frage käme, ist die mit Duldungsstatus: Für sie gilt die Abschiebung nur als „ausgesetzt“. Dezember 2002 zählten dazu 9.600 Menschen. Doch ihr Kreis wächst: Allein in diesem Jahr wurden von insgesamt 4.600 Asylverfahren 66 Prozent abgelehnt, 29 Prozent erledigten sich durch freiwillige Ausreise und Ähnliches. Anerkannt wurden insgesamt 25 Asylbewerber aus Afghanistan, macht 0,5 Prozent.
Die Ablehnungen werden vom Bundesamt für der Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mittlerweile regelmäßig damit begründet, dass die Lage in Afghanistan zwar noch nicht schön, aber auch nicht so unsicher sei, dass der Betroffene unbedingt um sein Leben fürchten müsse. Insbesondere die Sicherheits- und Versorgungslage im Raum Kabul sei ausreichend, um eine Abschiebung zu verantworten. Kabul wird so zu einer „inländischen Fluchtalternative“, wo die Sicherheitslage zwar noch „fragil“, aber „vergleichsweise zufrieden stellend ist“, schreibt das Bundesamt.
Es zitiert damit die Lageberichte des Auswärtigen Amts vom August, das sich seinerseits auf eine Einschätzung des UNHCR bezieht. Ob das Bundesamt den Text nicht zu Ende gelesen hat? Denn in seinem – nicht zur Veröffentlichung gedachten – Bericht erklärt das Auswärtige Amt ausdrücklich, der „praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist […] noch nicht überwunden“.
Typische Opfer der „meist unbekannt bleibenden Menschenrechtsverletzungen“ oder „Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen“ seien „Auslandsafghanen/Rückkehrer, es gibt häufig Vorfälle im Nordwesten und in Kabul“.
Angesicht der verschärften Ablehnungspolitik durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge spricht Pro Asyl davon, dass Afghanen offenbar unter großem Druck „abschiebungsfähig“ gemacht werden sollen. Das Bundesamt will davon nichts wissen. Es verweist darauf, dass die „große Zahl“ der freiwilligen Rückkehrer beweise, dass die Lage in Afghanistan nicht so abschreckend sein könne. Außerdem würden ja Rückkehrerprogramme eingerichtet.
In der Tat trägt etwa das Entwicklungsministerium unter Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) das Programm „Agef“ mit, das in Afghanistan Hilfestellung bei Unternehmensgründungen leistet und die Ausbildung vornehmlich von Handwerkern vor Ort unterstützt. Auch ein großer Teil der Bundesländer fördert Rückkehrer finanziell und organisatorisch.
Doch die Zahl der aus Deutschland bislang freiwillig Zurückgekehrten dürfte eher gering sein. Stefan Telöken vom Deutschland-Büro des UNHCR schätzt sie „zwei-, nur vielleicht doch schon dreistellig“. Die Afghanen in Deutschland also sind sich mit dem Auswärtigen Amt einig: Von Sicherheit in Afghanistan kann noch keine Rede sein. ULRIKE WINKELMANN