: Wie erklären?
10. Preis: Eine Geschichte vom Abschied
von DANIEL SCHÖNFELD
„Erzähl’s mir.“ Sie hauchte es mehr, als dass sie es mir richtig sagte. Wer Vater ist, ich meine bekennender Vater, der weiß, wie weh es tut, wenn das eigene Kind schwer krank vor einem liegt. Alles möchte man machen, alle Wünsche erfüllen. Jetzt dieser Wunsch, ihre Grille. Nun, irgendwann musste ich es ihr erzählen …
„Als ich ein bisschen besser aussah, da hatte ich eine ganz tolle Freundin. Wir planten unseren Urlaub und verfielen auf Sizilien. Ihr Vater tobte, war außer sich, erzählte von Überfällen, der Camorra und hatte dann doch nur Angst, sein Töchterchen an mich zu verlieren. Stimmte auch.“ Ein Flüstern unterbrach meine Spuren. „War das Mami?“ „Ja, wir fuhren mit der Bahn und trafen uns mit unserer Freundin Willi und ihrem italienischen Freund in Palermo im Centro Diaconale. Dort hatten wir auch ein Zimmer. In der Mitte unseres Urlaubs kam sie hereingeplatzt und überredete uns zu einem längeren Ausflug. Wir quetschten uns in ihren alten Fiat 500, den wir auch Elefantenrollschuh nannten, und fuhren los.“
Sie stöhnte. Ich nahm den Waschlappen und legte ihr wieder einen kühlen auf die Stirn. Wann kam der Arzt? „Papa, erzähl.“
„Wir kamen zur Küste, und im Hafen lag ein kleines Tragflächenboot. Willi, ihr Freund, Mareike und ich stiegen ein und ab ging es. Wir steuerten einige kleine Inseln an, die so klein sind, dass sie nicht einmal auf den Landkarten verzeichnet sind. Manchmal lebt da auch nur ein Schäfer auf einem größeren Felsen. Auf Favignana stiegen wir aus. Eine Insel, die fast nur aus feinem Sand besteht.“ Ich sah es förmlich vor mir …
„Papa.“ „Wir kamen zur Dämmerung an. Willi und ihr Freund hatten einige Brote dabei und Wasser. Uns reichte es. Die Sonne versank am Horizont und langsam kamen die Schatten des Abends. Mareike saß vor mir und ihr Profil zeichnete sich vor dem dunkler werdenden Himmel. Du hättest sie sehen sollen. Ihre Lippen, einfach alles. Das Dunkel wurde warm und weich und wir schmiegten uns aneinander, um die Wärme des Tages zu halten.“ Luft holen, Traum wegschieben. Stirn fühlen. Viel zu heiß. Sorgen. Einen Verlust habe ich ertragen, getragen, nicht noch einen. Sie stöhnt, wälzt sich im Fieber. „Papa, weiter.“ Gut, soll sie es jetzt wissen. „Wir froren in dieser Nacht nicht. Willi und ihr Freund schliefen. Wir schliefen mit offenen Augen. Wir hörten dem Atem des Meeres zu, lauschten dem Wind, der über den Sand strich. Ja, an diesem Abend, da bist du zu uns gekommen.“
Es klingelte, ich lief zur Tür, öffnete und der Arzt lief irgendetwas murmelnd an mir vorbei. Auf der Fahrt ins Krankenhaus war meine Tochter still. Ihre Hand war warm und lag fest in meiner Hand. Die Beruhigungsspritze des Arztes hatte uns beide ruhig gestellt. Sie schlief und ich war auf Favignana. Wir badeten. Sie traute sich nicht durch die Gischt. Ich habe noch deutlich ihr Lachen von damals vor Augen, als sie sich zu mir umdrehte. Ich habe sogar noch die Teerflecken vor Augen, die sie in ihrem Bikini hatte. Lachen wollten wir und nie mehr traurig sein.