piwik no script img

Archiv-Artikel

Konfrontation beim Kaffeekranz

Vom Randbezirk Osterholz-Tenever trugen 130 alte Menschen ihren Unmut ins Herz der Stadt: In der Bürgerschaft wiesen sie auf Altersarmut und Missachtung von Senioren hin. Die Diskussion mit den Politikern ist verschoben, aber nicht aufgehoben

Bremen taz ■ Im Generationenstreit geht es um mehr als Geld: Bei ihrem Zug auf die Bremische Bürgerschaft hatten sich gestern rund 130 Seniorinnen und Senioren „Protest gegen Kürzungen“ auf die Fahnen geschrieben und „Protest gegen Altersarmut“. Aber eben auch „Protest gegen menschenunwürdige Behandlung alter Menschen“, die an den Rand der Gesellschaft abgeschoben würden: Das 14. Seniorentreffen Osterholz-Tenever, koordiniert von allen in dem Ortsteil tätigen Trägern der Altenpflege, fand als Kundgebung statt.

„Wir leben noch“, so formuliert, sarkastisch, ein Transparent. Ein anderes: „Die Jungen von heute sind die Alten von morgen.“ Ein drittes stellt fest, Armut sei weiblich, was intern bemängelt wird: „Was haben die denn da drauf geschrieben?“, hört man auf der Treppe vor der Bürgerschaft. Unumstritten hingegen das Motto der Demonstration: „Was bringt zu Ehren? Sich wehren!“ Ein Goethe-Zitat. Ein Kremser fährt vor, stoppt – großes Hallo für die Neuankömmlinge. Dann geht’s zum Hintereingang: Auf der Besuchertribüne werden die Protestierenden Platz nehmen, die Ränge sind gefüllt, noch bevor die Aussprache über die Zukunft des Wohnens begonnen hat. „Ich war hier noch nie drin“, sagt eine Demonstrantin. Sie sei ja auch früher nie politisch aktiv gewesen.

Eine Senioren-Kundgebung ist eine ungewöhnliche Veranstaltung: Auch wenn in der Gerontologie längst Einigkeit darüber herrscht, dass gutes Altern in einer von Erwerbstätigkeit geprägten Gesellschaft nicht aus untätigem Ruhestand bestehen kann, und in diesem Zusammenhang gerne das Schlagwort von der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gebraucht wird – dass sich alte Menschen mit ihren politischen Anliegen vorwagen, ist noch immer eine Ausnahme.

Senator Jens Eckhoff (CDU) redet noch. Aber die Gäste verlassen die Tribüne: Unterm Plenarsaal sind die Tische eingedeckt, ein bisschen knapp, man hatte nur mit 120 Besuchern gerechnet. Eingestimmt mit Akkordeonmusik beginnt – das Kaffekränzchen. „Danach“, sagt Barbara Heller von der Seniorenwerkstatt der Egestorf-Stiftung, „machen wir unser Programm.“ Die sozialpolitischen Sprecher der drei Fraktionen schauen ein wenig betreten, entschuldigen sich dann für eine halbe Stunde. Dann kommt’s tatsächlich zur Konfrontation – kurz, aber immerhin: Ein „zorniger Dialog“ wird aufgeführt, der von Altersarmut und den Konsequenzen der Gesundheitsreform handelt. Und ein Lied wird gesungen, dessen Refrain „Drum erhöht die Renten, lasst sie nicht mehr fallen“ lautet.

Dann drei Statements. Beklommen: Frank Pietrzok (SPD), der die Sozialreformen verteidigt. Kämpferisch: Karoline Linnert (Bündnis 90 / Die Grünen), die sich gegen die Behauptung verwahrt, die Politiker würden sich bereichern und auf Kosten der Alten leben. „Wir brauchen ein gegenseitiges Verständnis von Jung und Alt“, sagt sie. Moderat: Karl-Uwe Oppermann (CDU), der auf die Differenz zwischen Bundes- und Landespolitik hinweist. Für eine Sachdiskussion erweist sich der zeitliche Rahmen als zu eng. Aber das wird noch: Alle drei Parlamentarier versprechen einen Besuch. Der Festsaal der Egestorff-Stiftung wird als Treffpunkt verabredet. „Wir erwarten keinen Erfolg“, hatte eine Demonstrantin noch vorm Betreten der Bürgerschaft geargwöhnt. Viel verändert haben wird sich nicht. Aber Gehör haben sich die Senioren aus Osterholz-Tenever verschafft.

Benno Schirrmeister