: berliner szenen Am Winterfeldtplatz
Von 14 bis 15 Uhr
Auf diesem Pflaster liegt die Schule des Lebens. Wie viele Kinder hier allein das Fahrradfahren gelernt haben! An Sonntagen und nach Feierabend sieht man am Winterfeldtplatz jedenfalls häufig junge Eltern angespannt ihren Kindern hinterherblicken. Noch eierig oder schon nassforsch drehen diese zwanzig Meter weiter ihre Runden – die Wimpel, die ihre bunten Räder mit Stützrädern zieren, haben dabei etwas Stolzes. Aber, man weiß ja nicht: Werden diese Kinder diesen Platz als Ort ihrer ersten Verkehrstriumphe in Erinnerung behalten? Oder als Ursache vieler Schrammen und Wehwehchen? Womöglich sind es solche Fragen, die entscheiden, ob aus den Kindern später Großstadtbewohner oder Vorortbesiedler werden. Vorortkinder fallen jedenfalls weicher. Haben aber nicht so ein buntes Publikum.
Kann gut sein, dass die beiden Jungs, die nun zu dieser Mittagsstunde Anfang September über den Platz rasen, vor einigen Jahren noch solche hoffnungsfrohen Radfahranfänger waren. Inzwischen sind sie in dem Alter, in dem man als beobachtender Erwachsener zwischen Spiel und Kräftemessen nicht mehr unterscheiden kann. Vor allem die Laternen in der Mitte des Platzes reizen jugendliche Radfahrer oft dazu, sie als Wendemarken zu verwenden. Auch die beiden Jungs demonstrieren alle Techniken, die man braucht, um über einen gepflasterten Platz das Imago einer Rennarena zu legen: Sie schneiden sich den Weg ab, fahren enge Kurven um die Laternen und rasen lachend aufeinander zu, um erst im letzten Augenblick auszuweichen. Vor einigen Monaten gab es mal einen Polizisten, der ernsthaft behauptete, auf diesem Platz sei Fahrradfahren verboten. Aber da mussten dann wirklich alle Umstehenden lachen. DIRK KNIPPHALS