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Archiv-Artikel

„Eine Zeitbombe unterm Hintern

Grünen-Fraktionschef Ratzmann wirft Rot-Rot im Parlament vor, Milliardenproblem bei BVG nicht zu sehen. Senat und CDU lehnen Zerschlagung ab. Junge-Reyer: Aufsplittung löst Probleme nicht

VON STEFAN ALBERTI

Der Senat hat den landeseigenen Verkehrsbetrieben (BVG) nachträglich noch ein Geschenk zum 75. Geburtstag gemacht und im Abgeordnetenhaus eine Zerschlagung des Unternehmens abgelehnt. „Weder das Ertrags- noch das Kostenproblem der BVG lassen sich durch eine Aufsplittung in Einzelgesellschaften lösen“, sagte Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) der taz am Rande der Plenarsitzung. Netz und Betrieb zu trennen hielt sich Junge-Reyer als Option offen. Ob die eingelöst wird, soll vom Sanierungsfortschritt der defizitären BVG abhängen.

Die gestrige Debatte hätte unter dem Motto stehen können: klein gegen groß. Denn Grüne und FDP forderten in unterschiedlicher Form eine Aufsplittung der BVG. Die drei größeren Fraktionen hingegen – die Regierungskoalitionäre von SPD und PDS sowie die oppositionelle CDU – lehnen das ab. Sie wollen die BVG in sich reformieren.

Die Grünen, auf deren Antrag hin das Plenum sich gestern mit dem öffentlichen Nahverkehr beschäftigte, wollen eine Zweiteilung. Tunnel, Gleise, Busse und Bahnen sowie die Planungsabteilung soll nach 2008 eine landeseigene Gesellschaft aufnehmen. Die BVG soll danach nur noch aus dem reinen Fahrpersonal bestehen. Das hatten die Grünen bei ihrer Fraktionsklausur vor vier Wochen beschlossen. Die FDP will auch den Fahrbetrieb aufspalten und Einzelfirmen für Bus, Tram und U-Bahn.

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sieht im Vorschlag seiner Fraktion keine Zerschlagung, sondern eine „Strukturveränderung“. Für Zerschlagung hielt er die Forderung der FDP: Die falle damit in Zeiten vor 1929 zurück, als SPD-Mann Ernst Reuter aus drei getrennten Verkehrsbetrieben die BVG formte.

In einer äußerst lebhaften Debatte mit zahlreichen Zwischenrufen hielt Ratzmann dem rot-roten Senat und den Abgeordneten von SPD und PDS vor, drohende Gefahren für den Landeshaushalt nicht zu erkennen: „Ihr müsst euch doch mal klar werden, was da für eine Zeitbombe unter eurem Hintern liegt.“ Eine Milliarde Euro an Landesgeldern sieht Ratzmann bedroht – „wissen Sie, wie viel Lehrer man dafür einstellen, wie viele kostenlose Kitaplätze man dafür zur Verfügung stellen kann?“

PDS-Verkehrsexpertin Jutta Matuschek konterte hart. Eine Aufsplittung rüttelt an ihrem Verständnis von staatlicher Daseinsvorsorge: „In einer einzigartigen Koalition aus sozialer und emotionaler Kälte verbinden sich hier die Partei der Besserverdienenden – die FDP – und die Partei der Besser-besser-Verdienenden, die Grünen.“

Ihr SPD-Kollege Christian Gaebler hatte zuvor einräumen müssen, dass die BVG derzeit kein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen sind. Das sieht er aber als Herausforderung für 2008. Dieses Datum ist deshalb so sehr bedeutsam, weil dann nach EU-Recht staatliche Zuschüsse verboten sind. Derzeit kassiert die BVG jährlich vom Land über 400 Millionen Euro als Zuschuss. 2008 müssen normalerweise auch alle Aufträge für Verkehrsunternehmen ausgeschrieben werden. Wenn die BVG bis 2008 jedoch ein solches durchschnittlich gutes Unternehmen wäre, könnte der Senat sie weiter als Nahverkehrsmonopolist halten. Gaeblers Weg dorthin: „Strukturreformen in der BVG und mit der BVG“.