: Das Strichmännchen
Zuhälter sind auch nur Unternehmer: Dominik Graf schickt einen Luden durch die Hölle seines Milieus: „Hotte im Paradies“ (20.40 Uhr, Arte)
VON CHRISTIAN BUSS
Ein Mann, der Frauen auf den Strich schickt, ist ein schwer vermittelbarer Held. Schon vor zwei Jahren hatte Dominik Grafs Zuhälterporträt „Hotte im Paradies“ in Hof Premiere gefeiert, dann lag der Film lange rum. Die Produktionsfirma Trebitsch wollte mit ihm nicht mehr so recht etwas zu tun haben; die Filmförderungsanstalt verweigerte zweimal hintereinander die Verleihförderung, die notwendig gewesen wäre, um die Musikrechte für eine Kinoauswertung zu bezahlen. Nun ist der formatsprengende Film wenigstens im TV zu sehen, sogar auf passablen Sendeplätzen. Am nächsten Donnerstag läuft er um 23.00 Uhr in der ARD; heute ist es zur Primetime auf Arte zu sehen, wo man mit der Darstellung von Gewalt, Sex und Drogenkonsum freigeistiger umgeht.
Warum sollte man nun aber einem Luden dabei zuschauen, wie er mit Baseballschläger und testosteronbefeuertem Nachdruck seinen kleinen Laden zusammenhält? Ganz einfach: Weil er ein Unternehmer wie viele andere in Deutschland auch ist; Existenzängste und Akkumulationstriebe brechen sich in seinem Metier bloß etwas unnachgiebiger Bahn. Umso deutlicher treten die Prinzipien der Marktwirtschaft hervor.
Hotte (Misel Maticevic) ist kein übler Typ, er ist Geschäftsmann. Und als solcher muss er manchmal eben zu rabiaten Methoden greifen, schließlich herrscht auf dem Kiez ein harter Verdrängungswettbewerb. Zwei Mädchen (Birge Schade, Stephanie Stappenbeck) arbeiten für den Zuhälter aus Berlin-Charlottenburg. Doch Hotte träumt von Expansion. Die Hure Jenny (Nadeshda Brennicke), die ihm von einem Großluden über den Tresen geschoben wird, treibt denn auch den Umsatz hoch – und bringt gleichzeitig die Arbeits- und Lebensgemeinschaft der kleinen Rotlicht-WG gefährlich durcheinander.
Wie kein Zweiter inspiziert Dominik Graf soziale Einheiten auf ihre psycho-ökonomischen Zusammenhänge. In den TV-Produktionen „Bittere Unschuld“, „Deine besten Jahre“ und „Kalter Frühling“ (die ab dem 20. September alle noch mal im ZDF zu sehen sind) durchleuchtet er großbürgerliche Familienstrukturen. In „Hotte im Paradies“ zeigt er nun Menschen, deren Verschwendungssucht und stolz ausgestellte kriminelle Energie antibürgerlich erscheinen – und die doch in ähnlichen strukturellen Zwängen gefangen sind wie andere Mittelständler. Da sinnieren die Frauen über die Rente, während der Chef seinen Laden gegen die Zumutungen des Marktes verteidigt. Und diese Zumutungen sieht er wie andere hiesige Selbstständige vor allem aus dem Osten kommen; die Russen-Mafia hat längst die Geschäfte übernommen. So erzählt das Ludenporträt von einem Milieu, das seine großen Tage schon hinter sich hat. Es geht um den alten Westberliner Kiez, den es so heute nicht mehr gibt.
Nostalgisch verklärt ist Grafs Blick trotzdem nicht. In den schäbigen Farben des Digital-Video-Materials (Graf: „Rot wie ein Pavianarsch“) zeigt er einen Kosmos, in dem Fleisch und Gefühle im gleichen Warenkreislauf zirkulieren wie Sportautos oder Rolex-Uhren. Anders als in Kiez-Schmonzetten à la „Der König von St. Pauli“ hat Romantik hier keinen Platz. Trotzdem sollte man „Hotte im Paradies“ nicht als authentisches Zeugnis eines Milieus betrachten. Zwar hat Drehbuchautor Rolf Basedow über Jahre in einschlägiger Umgebung recherchiert, und in Nebenrollen agiert die eine oder andere Fachkraft des Gewerbes. Von einer Dokumentation aber ist der Film weit entfernt. Graf betreibt hier vor allem die allegorische Verdichtung eines Systems aus Unterdrückung und Abhängigkeit.
Und diesem System schlägt niemand ein Schnippchen. Auch nicht der Gerngroß Hotte, der seinen Mädchen rührenderweise schon mal wegen Schnupfen oder Kokskater freigibt. Der charmante Zuhälter wurde dafür in manchen Presseorganen bereits als romantischer Held gefeiert. Aber mal ehrlich: Wie romantisch kann ein Lude sein, der die Mutter einer Prostituierten halbtot schlägt, weil er mit ihrem Ersparten die Raten für sein Cabrio bezahlen will?