: Nach Agassi geht auch Andy Roddick
Das Halbfinale der US Open findet erstmals seit 1986 ohne Tennisspieler aus den USA statt
NEW YORK taz ■ Vor ein paar Tagen saß Mats Wilander (40) im Studio des Fernsehsenders USA und wurde von John McEnroe zu den Chancen des Landsmannes Joachim Johansson im Viertelfinale gegen Andy Roddick befragt. Ohne zu zögern meinte Wilander: „Wenn er hundert Prozent spielt, kann er ihn schlagen.“ Johnny Mac staunte und man sah ihm an, dass er dachte: Du spinnst! Denkste. Hat mal wieder Recht gehabt, der alte Schwede.
Einen Tag später lernten New Yorks Tennisfans Joachim Johansson kennen; 22 Jahre alt, 1,98 lang, zu Hause in Björn Borgs Geburtstag Södertälje, zurzeit Nummer 30 der Tenniswelt, nicht verwandt und nicht verschwägert mit Thomas Johansson, dem Sieger der Australian Open 2002. Der junge Johansson also marschierte ins Arthur-Ashe-Stadion, holte aus, schlug zu und gewann das erste Fünfsatzspiel seines Lebens gegen den Titelverteidiger Andy Roddick 6:4, 6:4, 3:6, 2:6, 6:4.
Das war, ein paar Stunden nach der Niederlage von Andre Agassi gegen Roger Federer, der zweite Schock für die Fans auf den Rängen, heftiger noch als der erste. Zwar dürfen sie hoffen, Andre Agassi zu behalten, denn der meinte nach der Niederlage, über seine Zukunft sei noch nichts entschieden. Dennoch bleibt ihnen nun nichts anderes übrig, als tapfer zu sein, wenn Samstag im Halbfinale zum ersten Mal seit 1986 kein Amerikaner mitspielen wird, stattdessen ein Schweizer und ein Brite, ein Schwede und ein Australier.
Für Roddick war Johansson kein Unbekannter, ganz im Gegenteil. Die beiden sind ein Jahrgang (1982), haben schon als Junioren gegeneinander und manchmal auch miteinander gespielt, unter anderem einmal als Doppelpaar im Junioren-Finale der French Open. „Den Aufschlag hatte er damals schon“, meinte Roddick, „ich hab mich immer gewundert, warum es danach so lange mit ihm gedauert hat.“ Am Abend dieses Viertelfinales wunderte er sich auch. Zwei Sätze lang wirkte er hilflos und geschockt von einer Art des Spiels, die doch eigentlich seine ist. Brutaler Aufschlag, mächtige Vorhand, immer feste druff.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie Johansson dieses Spiel gewann. Roddick machte zwar deutlich mehr Punkte (152:128), aber die wichtigen waren nicht dabei. Denn er nutzte nur drei von 15 Chancen zum Break, der andere dagegen drei von fünf, und die Geschichte dieser Breakpunkte, so meinte der Amerikaner hinterher selbst, erkläre das ganze Spiel. In diesem Moment hatte er sich wieder halbwegs im Griff. Direkt nach der Niederlage war er zu mitternächtlicher Stunde rastlos durch die Katakomben des Arthur-Ashe-Stadions gerannt, ein Verlierer mit wirrem Blick, wütend und unglücklich zugleich.
Der Titelverteidiger ist also raus aus dem Geschäft; ein Spiel der Nummer eins der Tenniswelt gegen die Nummer zwei wie zuletzt in Wimbledon wird es diesmal im Finale nicht geben. Federer sei nun der Favorit auf den Titel, meinte Roddick, bevor er sich in die Nacht trollte. Aber zunächst mal muss der Schweizer das Halbfinale gegen Tim Henman gewinnen, und das ist bei der Bilanz der beiden kein selbstverständliches Geschäft. Von acht Spielen gegen Henman hat Federer erst zwei gewonnen.
Aber zumindest werden in dieser Begegnung klare Verhältnisse herrschen, was man vom zweiten Halbfinale nicht behaupten kann. Denn wie es der Zufall will, kennen sich Lleyton Hewitt, der den Deutschen Thomas Haas souverän mit 6:2, 6:2, 6:2 bezwungen hatte, und Joachim Johansson nicht nur gut, sie stehen sich sogar ziemlich nahe. Der Schwede ist seit vier Jahren der Freund von Jaslyn Hewitt, Lleytons jüngerer Schwester. Er gehört so gut wie zur Familie, hat Weihnachten in den letzten beiden Jahren in Adelaide verbracht und sagt mit einer Selbstverständlichkeit „mate“ (Kumpel), dass man glaubt, einen Australier vor sich zu haben.
Beim Spiel gegen Roddick saß Jaslyn Hewitt neben Johanssons Trainer, daneben ihre Eltern. Aber wie soll das nun im Halbfinale werden? Noch auf dem Center Court meinte der Schwede mit leuchtenden Augen, das sei nicht schwer: „Den Freund kann man sich aussuchen, den Bruder nicht, und deshalb wird sie für mich sein.“ Und was ist mit dem eigenen Verhältnis zu Fast-Schwager Lleyton? „Wir sind Freunde“, sagt Joachim Johansson, „hoffentlich auch noch nach dem Spiel.“ DORIS HENKEL