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Archiv-Artikel

Schöner neuer Kalter Krieg

Konflikte im Kaukasus und Nahen Osten werden einfach zu Schlachtfeldern in einem globalen „Krieg gegen den Terror“ erklärt

VON ERIC CHAUVISTRÉ

„Über Nacht entwickelte sich die weit verbreitete Furcht“, so der enge Berater des US-Präsidenten, „dass die Regierung und das Militär plötzlich die Macht verloren haben, das Gebiet der USA zu verteidigen.“ Das Gefühl der Unverwundbarkeit war plötzlich dahin, der Staat nicht mehr in der Lage, den Schutz seiner Bürger vor massiver Gewalt zu garantieren. Jedenfalls für die Führung der Vereinigten Staaten war die Welt von nun an eine andere.

Der zitierte Berater diente nicht dem Präsidenten George W. Bush. Und es waren auch nicht die Toten vom 11. September 2001, die den Regierungsbeamten James Killian zu seiner Beobachtung veranlassten. Der Präsident hieß Dwight D. Eisenhower und es war das Piepsen des „Sputnik“, das ihm und anderen US-Strategen eine Zeitenwende ankündigte. Der Sowjetunion war es am 4. Oktober 1957 erstmals gelungen, einen Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde zu schicken. Wer aber dazu in der Lage war, der würde bald auch über die Mittel verfügen, eine atomar bestückte Rakete an jeden beliebigen Ort auch der mächtigen USA zu transportieren. Viel mehr als der Angriff auf das weit vom Festland der USA entfernte Pearl Harbor war der Sputnik-Schock das Signal für das Ende der als selbstverständlich betrachteten Unverwundbarkeit der Vereinigten Staaten. Von nun an war die Militärmacht in ihrer Wahl militärischer Interventionen eingeschränkt. Von nun an wurde der Kalte Krieg von dem Bewusstsein dominiert, dass auch die Schaltstellen der USA jederzeit zerstört werden könnten.

Als schließlich mit George W. Bush am 11. September 2001 ein US-Präsident Schutz in einen Bunker suchen musste, wurde er ausgerechnet auf den Stützpunkt des Strategic Air Command in Nebraska gebracht, der Kommandozentrale für die Atomwaffen der USA. Diesmal gab es keinen gegnerischen Staat, keinen Kreml, den man hätte ins Visier nehmen können. Dennoch griff die US-Regierung auf viele der Deutungen, Begriffe und Mittel aus der Zeit der atomaren Konfrontation zurück. „Die Bedrohung durch die Sowjetunion“, meint Paul Rogers, Konfliktforscher an der University of Bradford, „wurde durch die Bedrohung durch den militanten Islam ersetzt – in einer gefährlichen Vereinfachung der Lage.“

Und für Richard Clarke, der in den Stunden nach den Anschlägen des 11. September mit wenigen Kollegen im oberirdischen Teil des Weißen Hauses die Funktionsbereitschaft der US-Regierung organisierte, ist schon der Begriff absurd. „Teil des Problems ist es, dass wir dies als einen Kampf gegen ‚den Terrorismus‘ betrachten“, sagt der ehemalige Anti-Terror-Koordinator des US-Präsidenten im Gespräch mit der taz: „Terrorismus ist eine Taktik.“ Es ginge aber um eine Minderheitensekte des Islam. Eine Definition, wer denn genau als Terrorist zu gelten hat, hat die US-Regierung ohnehin nie geliefert.

Doch nicht allein die USA ersetzten – mit etwa mehr als einem Jahr Verzögerung – das Konstrukt des Kalten Krieges durch das des Antiterrorkrieges. Auch die für die Ost-West-Konfrontation gegründete Nato griff unmittelbar nach den Anschlägen von New York und Washington mit der erstmaligen Erklärung des Bündnisfalles zu einem Instrument, das eigentlich für den Fall des Rollens sowjetischer Panzer durch die Norddeutsche Tiefebene vorgesehen war. Auch drei Jahre später befindet sich die Allianz formal im Kriegszustand. Der damals festgestellte Angriff auf die USA will und kann schließlich niemand als endgültig abgewehrt bezeichnen. Auch die Bundeswehr hat weiterhin ein Mandat für den kriegerischen Einsatz im US-geführten Antiterrorkrieg, der „Operation Enduring Freedom“.

Sicherer scheint die Welt durch den Krieg gegen den Terror aber nicht geworden sein. Die US-Regierung erklärt die Wochen um den dritten Jahrestag der Anschläge von New York und Washington zum „National Preparedness Month“ und gibt gut gemeinte Tipps zum Schutz bei Anschlägen. Ähnlich wie im Kalten Krieg hat die US-Regierung aber auch gegen Terroranschläge in der Hauptsache militärische Präventivschläge zu bieten.

„Ein sehr ernster erster Schlag“, stellte die US-Regierung 1950 im Geheimdokument NSC-68 fest, könne die Gegenseite so schwächen, dass dies den USA eine militärische Überlegenheit in einem „Krieg von langer Dauer“ bereiten könnte. Die gesamte Atomkriegsstrategie basierte darauf, im Zweifelsfall so früh loszuschlagen, dass die Waffen der anderen Seite gar nicht zum Einsatz kommen können. In der im September 2002 verabschiedete neuen „National Security Strategy“ der USA findet sich das fast wörtlich wieder. Präventivschläge sind keine Erfindung der Ära seit dem 11. September.

Viele der heutigen Funktionsträger und Berater der Bush-Regierung kamen erstmals während der Präsidentschaft Ronald Reagans, also einer besonders spannungsreichen Phase des Kalten Kriegs, zu Einfluss. Sie sind noch heute davon überzeugt, dass sie die Sowjetunion mit Hilfe von Reagans Raketenabwehrprogramm SDI zu Tode gerüstet haben. Ein militärisch absolut dominantes Amerika, so ihre Folgerung, kann auch das Ende des Terrorismus erzwingen. Und wie unter der damaligen Globaldoktrin zur Zeit der Ost-West-Konfrontation sind die USA auch im „Krieg gegen den Terror“ großzügig bei der Auswahl ihrer Verbündeten. Schließlich hatte die Nato lange genug Militärdiktaturen als Mitglieder.

Auch im vermeintlich kalten Krieg führten die USA schließlich nicht nur in Vietnam und Mittelamerika einige ganz und gar nicht kalte Kriege. Die Unterstützung für Autokraten gehörte damals dazu wie heute. John Negroponte, der als Bushs Botschafter im UN-Sicherheitsrat für die Irak-Invasion stritt und nun als US-Botschafter in Bagdad waltet, steht für diese Tradition. Von 1981 bis 1985 war er US-Statthalter in Honduras, als Washington in Mittelamerika massiv zu Menschenrechtsverletzungen beitrug.

Heute gehören zu der von den USA stolz präsentierten – „the largest coalition ever built“ – globalen Allianz viele Staaten, die mit Menschenrechten wenig zu tun haben. Wenn sie, wie Usbekistan und Tadschikistan, das Glück haben, gerade für einen Einsatz wie in Afghanistan gebraucht zu werden, darf die Demokratisierung gern einmal vergessen werden. In anderen Fällen ist man womöglich gar dankbar, wenn man Verbündeten Gefangene zum Verhör überlassen darf.

Kurz vor dem dritten Jahrestag des 11. September war es ausgerechnet Russland, das Überbleibsel des einstigen Gegners der USA im Kalten Krieg, das von der Mitgliedschaft in der US-geführten Allianz im Krieg gegen den Terror profitierte. Das Ausland solle die russische Tschetschenien-Politik „nicht mehr hinterfragen“, erwiderte Wladimir Putin auf kritische Anfragen. Mit dem Hinweis, Ussama Bin Laden werde schließlich auch nicht nach Washington oder Brüssel eingeladen, wies er jede Forderung nach neuen Ansätzen zur friedlichen Beilegung des Tschetschenien-Konflikts zurück.

Das Problem ist in das Schema des „Krieges gegen den Terror“ gepresst, eine Debatte damit überflüssig. Einer Suche nach den Ursachen entzieht sich Putin damit genauso wie Bush im Irak. Die speziellen Konflikte im Kaukasus oder im Nahen Osten werden ganz einfach zu Schlachtfeldern in einem globalen „Krieg gegen den Terror“ erklärt.

Doch die Reaktionen auf die russische Tschetschenien-Politik deuten auf die schwindende Akzeptanz dieses Konzepts hin. Auch der Ende August in einem Interview mit dem Fernsehsender NBC geäußerte, bald darauf korrigierte Zweifel Bushs an einem Sieg im „Krieg gegen den Terror“ verweist möglicherweise auf Schwierigkeiten bei der Vermittlung des seit dem 11. September von der US-Regierung verfolgten Konzepts.

Ein Einlenken ist dennoch nicht in Sicht. Denn selbst in der sehr viel simpleren Konstellation des Kalten Kriegs bedurfte es vieler Fantasie und Courage, so etwas wie die Ostpolitik einzuleiten und der Strategie militärischer Drohungen und Präventivschläge etwas entgegenzusetzen. Bei einem Geflecht von Konflikten, bei denen es häufig gar keinen Ansprechpartner gibt, dürfte dies ungleich schwieriger sein.

Man müsse „nicht nur den Terroristen hinterherlaufen“, meint Clarke, der mehr als ein Jahrzehnt ebendies im Auftrag mehrerer US-Präsidenten versuchte. Man müsse sich auch „ihrer Philosophie stellen“. Wie das gehen soll, weiß auch Clarke nicht. Eine Offensive im „Krieg gegen den Terror“ anzukündigen, wie es Clarkes ehemaliger Chef Bush Anfang diese Monats ein paar Kilometer vom zerstörten World Trade Center entfernt auf dem Parteitag der Republikaner tat, ist da einfacher als eine Antwort.