: Der Spediteur der Leidenschaft
Wenn es einen Verlierer in jedem von uns gibt, dann hat Olaf Schubert ihn ausgegraben und zu einer trotzig stammelnden Kunstfigur gemacht. Dabei beherrscht er den sinnvollen Versprecher wie kaum einer. Porträt des Kabarettisten im Pullunder
von JENNI ZYLKA
Der mit Rautenmuster verzierte Pullunder sieht aus, als würde er kratzen. „Jumper“ sagte man früher zu so einem Schmuckstück, aber wahrscheinlich nur im Westen. Im Osten, wo Olaf Schubert herkommt, der in Kratzpullunder und Billigjeans auf der Bühne steht und ein Gesicht macht wie drei Tage Regenwetter, gab es bekanntlich eigene Ausdrücke, und sogar eigene Polyesterverbindungen für solche Klamotten.
Ost-West-Unterschiede oder -Problematiken sind jedoch nur ein loser Rahmen für eine Olaf-Schubert-Show. Eigentlich passt Schubert in beide deutsche Exhälften, vor Comedy-sozialisierte ZuschauerInnen genauso wie vor über „Außenseiter Spitzenreiter“ Kichernde. Schuberts Popularität schwappt momentan aus Dresden und Leipzig, wo er „ein echter Held ist“ (sagt sein Management) hinüber nach Berlin und weiter: Die Auftritte im „Quatsch Comedy Club“ im Friedrichstadtpalast waren fast ausverkauft, und Schubert radebrechte sich erfolgreich und gelinde grimassierend durch einige Fernseh-Comedy-Shows. Das ist nämlich seine Spezialität, das Aufbrechen und neu Zusammenfügen von Worten und Sätzen, immer mit einem gequälten Gesichtsausdruck, die dünner werdenden Ponyhaare akkurat über den Schädel gelegt: „Meine Person besteht aus einem Liedermacher, aus einem Betroffenheitslyriker, der seit dem letzten Jahrtausend versucht, der Gesellschaft die Maske … vors Gesicht zu halten …“, erklärt Schubert dazu auf seiner gerade erschienenen DVD „Boykott“.
Mit dieser Haltung aus Mitleid erwecken und seinen äußerst diffizilen Wortspielen unterscheidet er sich von dem selbstbewussten Mittermaier, dem dickhäutigen Rüdiger Hoffmann oder den verzweifelt um Sympathie werbenden Comedians aus den Star-Suchen. Schubert, der nach Eigenaussage „eigentlich nicht will, dass die Leute lachen“, aber doch eine Menge dafür tut, treibt den alten Comedy-Trick des Sich-selbst-als-Trottel-Inszenierens auf die Spitze. Er lässt seine Figur so authentisch nahe an einen echten, bemitleidenswerten Loser, einen verzweifelt nach guten Taten suchenden Verlierer herantreten, dass die ZuschauerInnen gleichzeitig lachen und stöhnen: Wenn es einen Verlierer in jedem gibt, dann hat Schubert ihn ausgegraben und trotzig zu seiner singenden, stammelnden Kunstfigur zusammengesetzt.
Nur ganz selten lässt die Figur Schubert ein verklemmtes Lachen aufblitzen, und sogar das provoziert die ZuschauerInnen nicht mit, sondern über ihn zu lachen. Schuberts Lieder, denn er versteht sich in erster Linie als Musiker, die er meist mit seinen langjährigen Mitmusikern Jochen M. Barkas an der zweiten Gitarre und Herrn Stephan am Bass vorträgt, heißen „Boykott“, „Vorurteile“ oder „Erotica“: Ein extrem naiver Hippie erklärt die Welt. „Ich boykottiere / die Plattenindustrie“, singt Schubert mit seiner hohen, wackeligen Stimme zu extra schrammeligen, schiefen Akkorden, „ich hoffe von dem Schlag / erholt sie sich nie!“
Natürlich weiß ein weiser, altgedienter Quatschkopf wie Schubert (er lebt seit Jahren vom Musik- und Witzemachen), dass seine Lieder keine Hits werden. Aber eine ursprüngliche Ernsthaftigkeit ist hinter den Liedern immer sichtbar, auch wenn er scheinbar stotternd und mit Versprechern, die unglaubliche Fremdwörter-Mixe hervorbringen, seine Sätze ganz woanders enden lässt, als ihr Anfangspunkt vermuten ließ. Mit zitternder Stimme, mit den Händen verschämt an der alten Billigjeans nestelnd, konstruiert Schubert Unsicherheit, ist aber gleichzeitig so text- und wortpuzzlesicher, dass man ungehindert lachen kann: Er spielt ja nur. „Liebe“, stottert Schubert, „ist … äh … die … Gleitcreme … der Erotik.“ Und hat Recht damit, genauso wie mit „Alkohol … ist der … Spediteur der Leidenschaft … Kaum einer von uns wurde ohne ihn gezeugt.“
Auf der „Boykott“-DVD findet sich das gesamte Schubert-Programm, dazu Interviewschnipsel und Liedtexte. Allerdings keine Spur vom Menschen hinter der zerbrechlich-arglos-dämlichen Schubert-Maske. Denn diesen Menschen zu zeigen, dafür ist Schuber doch zu professionell.
Olaf Schubert: „Boykott“. DVD, BMG/Zong, www.olaf-schubert.de