berliner szenen Spazierstöcke lutschen

Oktoberfest performen

Das Ostkreuz am Freitagabend: Am S-Bahnhof hingen Plakate, die für ein Berliner Oktoberfest („das Original“) warben. Im Autohaus in der Simplonstraße ist auch Oktoberfest, mit einer Performance des Künstlers Jonathan Meese zum Tag der deutschen Einheit unter anderem.

Jonathan Meese ist Performer, Maler, Dichter, kurz über dreißig und viel gefragt. Sich selbst gilt er als Neuaktionist. Andere, so der Ausstellungsmacher Szeemann, führen ihn als Konfusionisten. Mit Wagner, Artaud und Marquis de Sade hatte er auch mal schon was. Eine Performance hatte „Soldat Meese“ geheißen. Kurz, Meese ist ein Künstler, der sich und seinen kräftigen Körper gern einbringt in den verkunsteten Sozialdiskurs.

Vor dem Hof des Autohauses steht ein zigarrenrauchender Kollege im Halbdunkel, verdammt einen Range-Rover, der grad vorfährt, und post mit Sätzen über ironische Autos. Der Oktoberfestereignisraum ist blauweiß geschmückt. Zünftige Blasmusik kommt von den Plattenspielern. Das Maßbier kostet 2,50. 40 Leute, die teilweise versuchen, bayrisch auszusehn, schauen Jonathan Meese zu, der auf Bühnenbrettern laut stampfend hin- und hermarschiert und provokativ an Spazierstöcken lutscht. Alles sehr Seventies. Er trägt eine schwarze Hose mit Schlag, ein olivgrünes Hemd, hat lange Haare und guckt so starr und stechend wie der Artaud-Übersetzer Bernd Mattheus, als er sich bemühte, wie Artaud zu gucken. Später trinkt der Künstler paar Bier, zieht sich das Hemd aus und eine Sonnenbrille an, haut auf seinen bleichen großen Bauch und hängt sich eine Kuhglocke um. Fünf Kameras nehmen alles auf. Der „Bierkampf“ von Achternbusch ist besser, das Oktoberfest auch.

DETLEF KUHLBRODT