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Archiv-Artikel

Das Haupt der türkischen First Lady

In der Türkei ist das Tragen des Kopftuches im Staatsdienst, an Schulen und Unis offiziell streng untersagt

Berlin diskutiert den Umgang mit dem Kopftuch. In der Türkei dagegen ist das Thema alt. Dort wurden nach heftigen Diskussionen Regeln ausgearbeitet, wobei der Einfluss des türkischen Laizismus und seiner strengen Bewacher nicht zu übersehen ist. Erst in den letzten Jahren wurde die Diskussion entspannter.

Der türkische Staat wurde 1937 offiziell laizistisch. Als heftige Reaktion auf das abgeschaffene Osmanische Reich wurden Staat und Religion strikt getrennt. Im Staatsdienst wurde das Kopftuch zum Tabu. In den Anfangsjahren der Republik wurde der umstrittene Stoff sogar auf der Straße hart bekämpft. Mit dem Erstarken islamistischer Tendenzen in der Gesellschaft in den 70er-Jahren begann die Kopftuchdiskussion. Alle waren sich damals einig, dass das Tuch ein politisches Symbol sei. Vor allem Studentinnen aus islamistischen Gruppen fochten einen politischen Kampf aus.

Dem bereitete der Militärputsch von 1980 ein Ende. Die Militärs sind nicht nur gegen die Linken erbarmungslos vorgegangen, auch der politische Islam litt. Unter diesen Bedingungen entstand zum Kopftuch das endgültige Urteil des türkischen Verfassungsgerichts: Das Tragen des Tuchs in staatlichen Gebäuden durch Staatsbedienstete ist strengstens verboten. Paradoxerweise haben die Militärs den Islam gegen linke Ideologien bewusst gefördert. Dadurch florierten Koran-Schulen und die Imam-Hatip-Schulen, die Imame ausbilden. Genau diese Zentren haben später die heutigen Islamisten des Landes ausgespuckt.

Der Kampf um das Kopftuch ging in den 90er-Jahren von vorne los. Unis und Schulen waren die Schauplätze dieses Kampfes – die Straße hatte die islamische Kopfbedeckung bereits zurückerobert. Auch heute dürfen Lehrerinnen, Schülerinnen und Studentinnen kein Kopftuch in den Unis oder Schulen tragen. Doch in der Praxis wird das Kopftuch zumeist lediglich aus den Klassen verbannt. In den Gebäuden selbst wird es geduldet. Symbole wie der Halbmond als Kettchen waren hingegen nie ein Problem. Auch bei den Dokumenten wie Führerscheinen oder Pässen gelten heute tolerantere Regeln. Frauen dürfen sich für das Passbild mit Tuch abbilden lassen. Nur die Gesichtszüge müssen deutlich erkennbar bleiben. Das gilt auch für die anderen religiösen Gruppen. Juden, Christen und andere dürfen nichts auf dem Kopf tragen, wenn sie in den Staatsdienst treten.

Der bislang letzte Schauplatz des ewigen Kampfes um das Haupt der türkischen Frau ist das Staatsprotokoll. Mit dem Wahlsieg der islamisch gefärbten AKP wurde die First Lady überzeugte Kopftuchträgerin. Als seine Ehefrau den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bei einer Staatsreise nach Indien mit Kopftuch begleitete, schrien die mächtigsten Tageszeitungen und mit ihnen die streng laizistische Oberschicht auf. Die Erben des Staatsgründers Atatürk machen bei jeder Gelegenheit ihrer Unzufriedenheit Luft. Die Armeeführung toleriert bei ihren Empfängen keine Frauen mit Kopfbedeckung, auch keine First Lady. Doch da kommen auch Männer ohne Krawatte nicht rein. CEM SEY