: Mystik hilft Schalke
Ein vom Simak-Melodram verunsichertes 96-Team gewährt den Gästen das seltene Erlebnis eines 2:1-Sieges
HANNOVER taz ■ „Hier fliegt der Norden“ lautet der Slogan, mit dem Auswechslungen im hannoverschen Stadion präsentiert werden. Auftraggeber und Sponsor ist – auch Ortsunkundige ahnen es dunkel – der Flughafen vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt. Beim 1:2 von Hannover 96 gegen Schalke 04 wählte Schiedsrichter Dr. Fleischer die raffinierte Werbemaßnahme als Leitspruch und sorgte dafür, dass es nur neun Spielern des Gastgebers vergönnt war, den Schlusspfiff auf dem Rasen zu vernehmen. Ein Gebaren, das ihn natürlich zum ausgepfiffensten Mann des Tages machte, ein Titel, den er allerdings nur knapp vor Schalkes Torwart Frank Rost gewann. Der Reihe nach.
In der ersten Hälfte fielen die Tore: Out of the blue ein satter Linksschuss von Christiansen zum 1:0, das Schalke durch den Ex-96er Asamoah ausglich. Vier Minuten vor der Pause prallte ein Schuss von Rodriguez gegen den Pfosten, nahm dann den Rücken von 96-Torwart Ziegler als Bande und landete im Netz. Die schrillen Turbulenzen waren der zweiten Halbzeit vorbehalten: Nach einigen zweifelhaften Entscheidungen, deren Anzahl aber nicht arg über das gewöhnliche Maß eines durchschnittlichen Bundesligaspiels hinausging, folgte in der 67. Minute, als die 96er ihre Bemühungen um den Ausgleich intensivierten, die gelb-rote Karte für de Guzman – na gut: Der bereits verwarnte Kanadier musste nach einem taktischen Foul damit rechnen und machte sich folgerichtig schnurstracks auf den Weg in die Kabine, ohne Dr. Fleischer auch nur eines Blickes zu würdigen.
Der zweite Platzverweis – gegen Brdaric in der 90. Minute – war da schon spektakulärer: Rost eilte extra 10 Meter aus seinem Tor, um den am Boden liegenden 96-Stürmer einer Schwalbe zu bezichtigen, demonstratives Gezeter, das der Manipulation des Schiedsrichters dienen sollte. Brdaric erhob sich, nickte zurück und flog, während Rost Gelb sah und anschließend den Journalisten die Freude machte, nachzulegen: „Der geht mir schon lange auf den Sack“, schimpfte er. Brdaric sei einer, der während des Spiels „private Dinger unter der Gürtellinie gegen die Mitspieler rauslässt“. Was genau, könne er nicht sagen, sonst dürfe „Ihre Zeitung“ nur an Leute über 18 verkauft werden. Jetzt wissen wir also ziemlich genau, was Brdaric Rosts Meinung zufolge für ein Typ ist.
Das lässt sich leider nicht über Jan Simak sagen, dessen ungeklärter Verbleib acht Tage lang über die Grenzen Hannovers hinaus für Aufregung sorgte. Auch im „ … und der böse Wolf“, der Stammkneipe vieler undogmatischer 96-Fans, war nach dem Spiel nicht so sehr die erste Heimniederlage das Superdoopertopthema, sondern das seltsame Verhalten von Hannovers genialischem Spielmacher, welches seine Mannschaftskollegen mächtig verunsichert zu haben scheint. Seit Simaks Wiederauftauchen ist zwar ein ärztliches Bulletin über den sensiblen Tschechen bekannt – Chronisches Erschöpfungssyndrom –, aber der medizinische Laie neigt trotz dieser differenzierten Diagnose zu simplifizierenden Äußerungen wie: der habe „sowieso einen an der Waffel“ und sei „garantiert etwas unterbelichtet“. Dritte wiederum unterstellen Simak, er wolle „mit der Nummer“ in objektiv ungeschickter Form sich seines Vertrages entledigen. Derweil räkelte sich seine Freundin („Freundin“?) in der Bild auf „Nackedei-Fotos“ (96-Trainer Rangnick) unter dem Motto: „Jan, komm zurück“, was die selbe Zeitung eine Ausgabe später nicht davon abhielt, über das „Ende des Simak-Theaters“ erleichtert zu sein.
„So etwas Mysteriöses“ habe sicher Einfluss auf eine Mannschaftsleistung und „atmosphärische Störungen“ zur Folge, konzidierte nachher auch Jupp Heynckes, der vor dem Spiel in einem Interview von den „wunderbaren Erinnerungen“ gesprochen hatte, die er mit den drei Jahren bei Hannover 96 verbindet (dem außer Borussia Mönchengladbach einzigen Verein, bei dem er als Spieler in Diensten gewesen ist), weil „mein bestes Stück da geboren ist – meine Tochter Kerstin“. Nun verhalf ihm seine diszipliniert agierende Mannschaft nach vier sieglosen Spielen dazu, eine weniger bedeutende, aber immerhin wichtige Erinnerung mehr zu haben. DIETRICH ZUR NEDDEN