: Auf immer und ewig
Dieter Meisenbacher hat einen Beruf, der immer seltener wird: Er ist Tierpräparator. Früher hatte er mal ein Ladengeschäft. Dann kamen die Proteste der Umweltschützer, die seine Scheiben besprühten, später wurde das Gebäude abgerissen. Seitdem betreibt Meisenbacher nur noch eine Werkstatt
VON JENNY BAUER
Die Werkstatt von Dieter Meisenbacher liegt versteckt in einem Industriegebiet im Norden Hamburgs. Eines fällt in diesem Raum sofort auf: dieser Geruch. Es ist ein unangenehmer und ungewohnter Duft. Er erinnert zuerst an Brühe vom Fleisch, nicht vom Gemüse, dann an den säuerlichen Geruch verwesenden Fleisches und dann vermischt er sich mit dem etwas unaufdringlicheren Duft von Tierfutter. „Wonach es hier riecht? Weiß ich nicht. Ich nehm’ das schon gar nicht mehr wahr.“ Dieter Meisenbacher schreibt Zahlen in einen blauen Quittungsblock. Später wird er nebenbei erwähnen, dass er übrigens gerade Knochen abkoche. Einen Mufflonschädel. Dieter Meisenbacher ist Tierpräparator.
Er ist der einzige freiberufliche Tierpräparator in der Umgebung. Sein Beruf ist selten, Nachwuchs ist kaum vorhanden. Und trotzdem ist er in seiner Werkstatt nie allein. Von der Wand her sehen ihm ständig gläserne Augen über die Schulter. Sie gehören den Eichhörnchen, Dachsen, Vögeln, Hasen und Enten, denen Dieter Meisenbacher zu einem ewigen Leben verholfen hat – als Stillleben.
Es sieht so aus, als gebe es keine Tierart, die er noch nicht präpariert hat. Immer sind die Arbeitsschritte dieselben: Er schneidet das Tier am Bauch auf und zieht ihm das Fell ab, er entsorgt das nackte Innenleben, reinigt die leblose Hülle in Wasser mit Spülmittel und legt sie in Kartoffelmehl. Das soll das restliche Wasser aufsaugen, sagt er. Danach trägt Dieter Meisenbacher Konservierungsmittel auf, von innen und von außen. Er säubert das Fell mit einer Zahnbürste – und dann beginnt die Kunst. Entweder mit Holzwolle oder mit einer Dermoplastik füllt er das Tier. „Eine Dermoplastik ist eine Art Grundform vom Körper eines Tieres. Solche Hilfsmittel werden beim Präparieren häufig verwendet“, erklärt Dieter Meisenbacher. Er sagt „Präparieren“ und nicht „Ausstopfen“. Denn Ausstopfen und Präparieren, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die Qualität macht den Unterschied. Sie ist beim Präparieren besser, sagt er. Er setzt dem Tier gläserne Augen ein, bringt jedes einzelne Haar in Form. Alle Details sollen stimmen. Zum Schluss befestigt er das Präparat auf einem Brett oder an einem Ast. Fertig.
In einem schweren großen Fotoalbum sind Fotos seiner Arbeiten eingeklebt. Auch Köpfe eines Bisons, eines Elches und eines Braunbärs. „Ja, die bringen Leute aus dem Urlaub mit. Einfach im Koffer. Also, natürlich nur die Felle.“ In einer Klarsichtfolie hat Dieter Meisenbacher die Artikel zweier Zeitungen aufgehoben. Der eine von 1990, der andere von 2004. Er ist stolz darauf. Er zündet sich eine Zigarette an. Weiße Fadenwolken schweben durch den Raum. Es ist still. Dieter Meisenbacher spricht nicht viel.
Es hat an diesem Tag wenig zu tun. Normalerweise müssten zur Jagdzeit die meisten Aufträge reinkommen. Dieter Meisenbachers Kunden sind häufig Jäger, die ihre Beute als Trophäe im Wohnzimmer sehen möchte. Oft bringen ihm die Leute aber auch Tiere vorbei, die sie auf der Landstraße gefunden haben. Überfahren. Viele seiner Arbeiten liefert er als Lehrmaterial an Schulen. Der Sechzigjährige erinnert sich an andere Zeiten. Früher hatte er einen Laden. In den großen Schaufenstern stellte er seine Präparate aus. Das Geschäft lief gut. Als die Umweltschützer anfingen seine Scheiben zu zerschlagen oder gar „Umweltzerstörerschwein“ darauf sprühten, weil sie dachten, jemand, der Tiere präpariert, sei deren Feind, ärgerte ihn das. Sein Geschäft gab er dennoch nicht auf. Erst als das gesamte Gebäude abgerissen wurde, zog er aus. Abgerissen wurde damals auch seine Existenz.
„Irgendwie interessieren sich die Menschen heute nicht mehr so für präparierte Tiere. Das ist einfach eine andere Generation. Die haben Möbel aus Glas und Kunststoff in ihren Wohnungen stehen. Da passen die Tiere nicht mehr so dazu, wie früher zu den Holzmöbeln.“ Einmal war ein Junge bei ihm, der den Beruf erlernen wollte. Dieter Meisenbacher riet ihm davon ab. Er sagt selbst, dass er wohl eine Arbeit hat, die ausstirbt. Trotzdem liebt er, was er tut. „Man kann nicht so genau erklären warum. Es macht Spaß und ist keine Fließbandarbeit. Ich mache immer etwas Neues.“
Einige Tag später hat Dieter Meisenbacher einen neuen Auftrag bekommen. Es ist eine französische Bulldogge, sie liegt auf einem Holzbrett und schläft. Für immer. Das Tier gehörte einem Lastwagenfahrer, der die Bulldogge 15 Jahre mit auf Tour nahm. Der Hund sieht aus, als sei er lebendig. Das Fell hat die Farbe dreckigen Schnees am Straßenrand. Um das rechte Auge herum ist es dunkel, fast schwarz. Es fühlt sich weich und warm an. Aber der Oberkörper hebt sich nicht, wie er es beim Atmen tun müsste. Kleine orange und gelbe Plastikstifte ragen rund um die Schnauze empor. Sie sehen aus wie Akkupunkturnadeln und helfen die Gesichtsfalten zu halten, bis die Haut ausgetrocknet und fest ist.
Etwa jedes zehnte Tier, das Dieter Meisenbacher präpariert, ist ein Haustier. Kanarienvögel, Hamster, Katzen, er hat sie alle gehabt. Dieter Meisenbacher versucht, die Haustiere so natürlich wie möglich zu gestalten. Das sei ein sensibles Thema, weswegen die Tiere bei ihm auch meistens schliefen, sagt er. Das strahle eine gewisse Ruhe auf die Besitzer aus. „Das ist für die dann ja eine richtige Tragödie.“
Dieter Meisenbacher ist Jäger und hat selbst einen Hund, einen Gordon Setter, Karo. Den würde er aber nie präparieren. Das findet er irgendwie komisch. Das leblose Präparat könnte dem treuen Begleiter nie gerecht werden, meint er.
Nach der Arbeit besucht Dieter Meisenbacher an diesem Tag einen guten Freund und dessen Hund Socke. Das Tier springt an ihm hoch und streckt ihm seinen Kopf entgegen – Meisenbacher streichelt ihn am Bauch, knuddelt die Ohren, spricht zu ihm, viel und lange. Dieser Mann liebt Tiere.