: Warum eiert das Ei, Herr Fischler?
FU-Professor Helmut Fischler lehnt Eiwürfe als Mittel der Auseinandersetzung strikt ab. Dennoch testet er für die taz das Flugverhalten. Eine Expertise
Jede Woche diskutiert die Redaktion die Montagskundgebungen unter wichtigen politischen Fragestellungen. „Eier fliegen total unberechenbar, das hat was mit der Trägheit von Eiweiß und -gelb zu tun“, behauptete neulich ein Kollege. „Und warum treffen die immer mich?“, hielt der andere dagegen. Die taz Berlin entschied in Absprache mit der Geschäftsführung, zwei Euro in Eier zu investieren und eine der letzten wichtigen Forschungsfragen zu klären. Die Bedingungen vor dem FU-Institut für Didaktik der Physik, Arnimallee 14, waren ideal. Temperatur: etwas über 20 Grad. Wind: schwach. Sicht: klar. Es warf Prof. Dr. Helmut Fischler.
taz: Herr Fischler, wer musste als Ziel herhalten – ein Hiwi?
Helmut Fischler: Nein, so realistisch wollten wir es dann doch nicht machen. Wir wählten einen Baumstamm, etwa 30 Zentimeter breit. Dann haben wir verschiedene Entfernungen ausprobiert. Die Minimaldistanz lag bei 15 Metern, die maximale bei 25.
Erzählen Sie!
Nun, Ihre Redaktion hatte die laienhafte Vermutung, dass Eier unzuverlässige Wurfobjekte sind. Mit diesem Hintergrund haben wir die Ei-Flugbahn auf mögliche Variationen beobachtet. Schlicht: Eiert das Ei? Leidet darunter die Zielgenauigkeit?
Wie lautet Ihr Ergebnis?
Vorab: Aus wissenschaftlicher Sicht sprach nichts dafür, dass dem Ei eine besondere Zielungenauigkeit zugeschrieben werden muss. Unsere Beobachtungen bestätigen das. Eier sind gut handhabbar – sowohl in der Abwurfphase, als auch in punkto Zielfindung.
Eier eiern kein bisschen?
Beim meinem ersten, spontanen Wurf drehte sich das Ei nicht besonders stark während des Fluges. Dies wird bei den meisten Würfen so sein. Bewusst gaben wir dem Objekt dann in einem späteren Versuch eine starke Drehung. Für die Flugkurve ergab sich – wie zu erwarten war – kein Unterschied.
Warum ist das so?
Jeder Körper, der die Wurfhand verlässt, beschreibt eine bestimmte Bahn. Sie wird durch den Masseschwerpunkt vorgegeben. Das ist ein gedachter Punkt irgendwo im Ei, wo man es zum Beispiel auf einer Bleistiftspitze balancieren könnte.
Liegt er in der Eimitte?
Nicht unbedingt. Dies wäre die geometrische Mitte. Weil Eier aber eine sehr inhomogene Masse haben – das Eiweiß schwabbelt, es gibt das Dotter, die Luftkammer –, liegt die geometrische Mitte meist nicht auf dem Masseschwerpunkt.
Wie äußert sich das im Flug?
Wenn das Ei beim Abwurf einen Drall mitbekommt, kreist in der Luft die geometrische Mitte um den Masseschwerpunkt. Das kann den Eindruck des Schlingerns hervorrufen. Aber der Masseschwerpunkt bleibt auf seiner Bahn, sprich: Das Ei fliegt wie gewollt.
Die Flugbahn ändert sich nicht chaotisch?
Richtig. Stellen Sie sich vor, der Masseschwerpunkt würde innerhalb des Eis leuchten, man sähe ihn durch die Schale. Der Leuchtpunkt würde im Flug eine perfekte Kurve beschreiben. Der Eikörper würde sich zu ihm aber in unterschiedlichsten Positionen befinden.
Frische Eier haben eine kleine Luftkammer, alte eine große. Wer werfen will, sollte also zum Frischei greifen?
Im alten Ei kann sich durch den Hohlraum die Masse, und damit auch der Schwerpunkt, stärker verschieben. Aber, wie gesagt, es rotiert vielleicht unvorhersehbarer, die Flugkurve ändert sich jedoch nicht. Außerdem müssen Sie die Dimensionen des Eis bedenken. Verschiebungen finden auf denkbar engstem Raum statt, ein halber Zentimeter mehr oder weniger spielt kaum eine Rolle.
Dreht man ein rohes Ei auf der Tischplatte, schlingert es. Ein gekochtes Ei rotiert gleichmäßig wie ein Kreisel. Wie erklären Sie den bekannten Trick?
Nicht zuletzt durch solche Alltagsbeobachtungen glauben wir ja an das eiernde Ei. Sie haben dieses Bild ja automatisch auf den Wurfprozess übertragen. Aber wenn Sie ein Ei auf dem Tisch in Drehung versetzen, unterliegt das Ei-Innere der Trägheit – es dreht sich nicht gleich mit. Wenn Sie umgekehrt ein drehendes, rohes Ei kurz stoppen und gleich wieder loslassen, bewegt es sich weiter. Das Innere will sich weiter drehen. Hinzu kommt, dass der Masseschwerpunkt beim Rotieren zeitweilig nicht über dem Auflagepunkt liegt und dadurch das Eiern entsteht.
Und wie stehen Sie zum Eierwurf als Mittel der politischen Auseinandersetzung?
Ich bin Wissenschaftler und vertraue allein auf die Kraft von Argumenten. Dementsprechend halte ich überhaupt nichts von Eier- oder sonstigen Würfen.
INTERVIEW: ULRICH SCHULTE