Algeriens Kronprinz rebelliert

Der Chef von Algeriens stärkster Partei FLN, Ali Benflis, tritt bei den Wahlen im kommenden Jahr gegen Algeriens Staatschef Abdelasis Bouteflika an. Noch vor vier Jahren hatte die FLN Bouteflika unterstützt, heute sind viele mit ihm unzufrieden

von REINER WANDLER

Algeriens Staatspräsident Abdelasis Bouteflika muss seit diesem Wochenende um seine Wiederwahl im nächsten Frühjahr bangen. Ausgerechnet sein einst engster Verbündeter Ali Benflis, Generalsekretär der FLN, wird gegen ihn antreten. Die ehemalige Einheitspartei wendet damit Bouteflika, den sie vor vier Jahren noch unterstützte, den Rücken zu. Ein tiefer Riss geht für alle sichtbar durch Algeriens herrschende Klasse.

Benflis formulierte seinen Anspruch auf das oberste Staatsamt ausgerechnet am Freitagabend, als Bouteflika mit allen Ehren zu einem Kurzbesuch in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich weilte. Die Getreuen des Staatspräsidenten in der FLN hatten vergebens versucht, dies zu verhindern. Von einem Sonderparteitag wurde Benflis unter frenetischem Applaus ins Rennen um das höchste Amt im Staat geschickt. Gleichzeitig zog Benflis die ihm treuen Minister aus Bouteflikas Regierung ab.

Der Bruch zwischen dem Staatspräsidenten und seinem Kronprinzen zeichnet sich schon länger ab. Benflis, der vor vier Jahren Bouteflikas Wahlkampfteam leitete und dann dem Kabinett im Präsidialamt vorstand, wurde im August 2000 zum Premierminister ernannt. Der überzeugte Erneuerer wollte endlich die Öffnungen umsetzen, die er jahrelang gepredigt hatte.

Bouteflika sah eine Zeit lang zu, dann kam es zum Streit. Während der Staatschef Bouteflika für eine schnelle Privatisierung der staatlichen Industrie eintritt, hielt ihm Benflis immer wieder die Forderung nach der „sozialen Marktwirtschaft“ entgegen. Benflis wollte einen langsamen Übergang zur Marktwirtschaft, der die soziale Lage des Landes nicht noch weiter verschärft. Er verhinderte vor allem die Privatisierung der Erdölindustrie, die über 90 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht. Im Mai diesen Jahres kam es dann zur Trennung. Bouteflika enthob Benflis seines Amtes. Mit Cäsar und Brutus vergleicht die algerische Presse die beiden seither.

Benflis hat gute Chancen, die Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr zu gewinnen. Der Rechtsanwalt aus dem Osten des Landes gehört zu den Erneuerern in der FLN. Bereits zu Zeiten des Einparteiensystems gehörte er zu den Gründern der algerischen Liga für Menschenrechte. Als das Einparteiensystem 1988 zusammenbrach, berief ihn Premier Mouloude Hamrouche ins Justizministerium. Das Amt hatte er bis 1992 inne.

Als die Armee die ersten freien Wahlen abbrach und zehntausende Mitglieder der siegreichen Islamischen Heilsfront (FIS) in Lager in der Sahara verschleppte, trat Benflis zurück. Jahrelang hielt er sich in der zweiten Reihe, bis er Ende der 1999 den FLN-Vorsitz übernahm und die angeschlagene Partei zu neuen Wahlerfolgen führte. „Die öffentlichen Einrichtungen und Institutionen müssen dem Bürger dienen und sonst niemandem“, verspricht er immer wieder in diesen Zeiten des algerischen Vorwahlkampfes.

„Bouteflika vs. Benflis – das bedeutet Krieg“, titelt die algerische Tageszeitung L’Expression, und ihre Kollegen von El Watan prophezeien eine „neue politische Tragödie“. Die Presse befürchtet eine zunehmende Destabilisierung der Institutionen und schaut dabei wie gebannt auf die übermächtige Armee. Wen wird sie unterstützen? Bisher verspricht der Chef der Generalstabs Mohamed Lamari „Respekt vor dem Urteil der Urnen“. Doch vieles deutet darauf hin, dass der Machtkampf der Clique sich nicht auf die Politik beschränkt.

Denn in der Armee sind nicht wenige mit der Amtsführung Bouteflikas unzufrieden. Trotz seiner Politik der „Nationalen Aussöhnung“, die Strafmilderung und Amnestie für Angehörige der bewaffneten Organisationen im Land versprach, die die Waffen niederlegen, gehen die Anschläge der radikalen, islamistischen Gruppen weiter. Allein dieses Jahr kamen – nach Zählungen der Presse – 650 Menschen ums Leben.

Die aktivste Organisation, die „Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf“ (GSPC), gelangt immer wieder auch in die internationalen Schlagzeilen. Sei es durch Überfälle auf Militärkonvois oder durch die Entführung der 32 Sahara-Touristen, die zum Teil über fünf Monate in ihrer Gewalt waren.

In den Bergen von Babors nahe der Provinzhauptstadt Setif, 300 Kilometer östlich Algiers, sind hunderte von Kämpfern seit drei Wochen umzingelt. Mit Hubschraubern werden Bomben und Brandsätze abgeworfen. Über 150 der Eingeschlossenen sollen bereits ums Leben gekommen sein. Die gefundenen Werkstätten, Generatoren und ein Feldlazarett deuten darauf hin, dass die Armee eines der größten Camps der Salafisten belagert.