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Archiv-Artikel

Erzieherinnen im Sarrazin-Schock

Bevor der SPD-Finanzsenator geht, teilt er noch einmal aus: gegen Hartz-IV-Empfänger, Migranten – und vor allem gegen Erzieherinnen in Kitas. Die Empörung ist einhellig

Wenige Wochen bevor Thilo Sarrazin am 1. Mai zur Bundesbank geht, schockiert er Sozialverbände, Politiker und Elternvertreter mit einer seiner wohlbekannten Tiraden. Insbesondere seine Einlassungen zur angeblich „nicht bildungsorientierten“ Arbeit in den staatlichen Kindertagesstätten in Berlin, die die Kinder mitnichten adäquat auf die Schule vorbereitete, sei an Zynismus kaum zu überbieten, sagt etwa Elfie Witten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

In seinem letzten Hintergrundgespräch am vergangenen Freitag hat Sarrazin ein wahrlich schauerliches Bild gemalt. Er hat den über 20 Prozent Hartz-IV-Empfängern der Stadt soziale Schwächen bescheinigt. So findet er, dass der wachsende Anteil von Hartz-IV-Familien in den Schulen dazu führe, dass es immer mehr „besonders schwierige Kinder mit besonders renitenten Eltern gibt“. Dann erkennt er zwar, dass Armut nicht nur ein Problem von Leuten nichtdeutscher Herkunft ist. Nur um sich anschließend den schlechten Eingangsdaten von Schulanfängern mit Migrationshintergrund zu widmen. Sie sprächen mehrheitlich schlecht Deutsch, seien übergewichtig, hätten schlechte Zähne. Danach trifft sein Rundumschlag die staatlichen Kitas. Er unterstellt den Erzieherinnen, dass sie die Kinder oft sich selbst überließen. Es werde zu wenig gesungen und Märchen erzählt. Er schlussfolgert, dass es keinen Sinn mache, zusätzliche finanzielle Ressourcen „für eine Struktur zur Verfügung zu stellen, wo der Anteil der Bedürftigen von Jahr zu Jahr wächst“.

„Sarrazins Äußerungen sind eine Ohrfeige für alle Erzieherinnen“, sagt Martina Castello, pädagogische Geschäftsleiterin des Kita-Eigenbetriebs Süd-West. Die Studien, die Sarrazin für seine Thesen heranzieht, belegten genau das Gegenteil von dem, was er sagt. Kitakinder hätten einen besseren Schulstart. Auch Sarrazins SPD-Fraktionskollegin Sandra Scheeres zeigt sich entsetzt: „Was er sagt, stimmt mit der Realität nicht überein. Die Fraktion denkt da ganz anders.“

Eigentlich wundert Sarrazins Attacke auf die Kitas nicht. Denn er verknüpft seine Sozialanalyse mit einem Finanzkonzept für den zukünftigen Berliner Haushalt, in dem Sparen die einzige Maxime ist. So fordert er weiteren Personalabbau in der Verwaltung. Erzieherinnen der staatlichen Kitas gehören zum Finanzposten Personal. Als Sarrazin antrat, gab es 15.000 Erzieherinnen. Heute sind es noch 13.500. Als Sarrazin antrat, war eine Erzieherin für 16 Kinder zuständig, heute für 21.

Die Kürzungen im Personalbereich wurden mit zusätzlichen Anforderungen an die Erzieherinnen gepaart. Kitakinder müssen nun gezielt auf die Grundschule vorbereitet werden. Zum Beispiel müssen die Erzieherinnen Sprachlerntagebücher führen und individuelle Förderpläne für jedes Kind ausarbeiten. Zusätzliches Personal wird dafür eingefordert – bisher vergebens. Angesichts dieser Situation werde das wahre Ausmaß von Sarrazins Ausfall erst deutlich, meint Elfie Witten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Und dies, wo doch gilt, dass „Bildung die einzige Chance ist, die Kinder und Jugendliche nachhaltig vor Armut bewahren kann“.WALTRAUD SCHWAB