: Die ewige Verdammnis
Der permanente Widerspruch jeder künstlerischen Avantgarde oder Subkultur: Matias Faldbakkens deftig-anarchistischer Underground-Roman „The Cocka Hola Company“– ein Bestseller in Norwegen
von FRANK SCHÄFER
In Oslo treibt ein ziemlich obskurer Verein sein Unwesen. Eine Firma namens „Desirevolution“, die – in Norwegen offenbar tatsächlich noch verbotenerweise! – Pornos dreht; saftige Hardcore-Filme, die einen guten Ruf im Untergrund genießen. Die Filmchen dienen jedoch vor allem der Subsistenzsicherung eines Haufens Dada- und Konzeptkünstler. Zum Beispiel Speedo, der sich in einem „Zwangsalkoholikervertrag“ verpflichtet, sich auf Kosten der Firma totzusaufen. Oder Rittmeester, der Porno-Theoretiker, der sich zu Hause isoliert und dutzendweise einschlägige Zeitungen und Magazine liest, um der Firma Expertisen über die neuesten Entwicklungen auf dem Pornomarkt zu liefern oder die laufenden Produktionen zu beurteilen.
Tätigstes Mitglied und zugleich das Gehirn des Betriebs ist der Anarcho-Ideologe Simpel: eine „Antimoral-Dampfwalze“, ein Choleriker, Hassneurotiker, Schimpfkanonier erster Güte, der seine Wut auf alles und jeden nicht mal mit den täglichen vier Milligramm Sedativum im Zaum halten kann. Entspannung bieten ihm nur die gelegentlichen „Interventionen“ gegen die bürgerliche Konsensgesellschaft, die „Faszinations-Diktatur“, den Mainstream. Geschmacklose, absurde und oft genug gewalttätige Angriffe auf den norwegischen Normalbürger, auf Künstler, auf Arbeiter, Rentner oder Nachbarn, eben auf alle, die ihn „anscheißen“. Und das tut jeder, der ihm in die Quere kommt.
Mit Simpel hat der norwegische Autor Matias Faldbakken ganze Arbeit geleistet und eine Figur geschaffen, an der er seine grobianische Eloquenz beweisen kann. Simpel transportiert die anarchistische, misanthropische, ja Punk-Philosophie seines Romans „The Cocka Hola Company“ aufs Beste. Auf einer Weihnachtsfeier erzählt er einer „Medienfotze“, warum sie damals Desirevolution gegründet haben: „Wir hatten ein paar Sachen scheiß über. Ja, eigentlich zwei Sachen. Einmal, dass die Leute die ganze verdammte Zeit übers Geld jammern, dass alles so teuer ist und dass es vorn und hinten nicht reicht und so. Immer dieselbe scheißöde Leier … Und das andere, wovon wir die Schnauze voll hatten, das war der Rest der Welt. Wie Normen und Regeln und Strukturen und Mechanismen und der ganze Scheiß funktionieren, das ist genauso bescheuert und vorhersehbar wie das Geldgerede …“
Eine Zeit lang leistet Desirevolution noch tapfer Widerstand gegen die Normalität, aber schließlich fliegt das verbrecherische Syndikat auf, als sich ein paar der Opfer zusammenschließen und es bei der Polizei anschwärzen. Jetzt geht Simpel in die Offensive, nämlich ins Fernsehen, und berichtet in einer Talkshow von seinen subversiven Aktionen – und da geschieht das Schlimmste, was einem Renegaten wie ihm überhaupt widerfahren kann: Das Publikum applaudiert. Es ist nicht brüskiert, sondern ist schlicht seiner Meinung. Der so gehasste und bekämpfte Mainstream hat Simpel letztlich doch vereinnahmt!
Mit dieser hübschen dialektischen Wendung bringt Faldbakken sein Thema auf den Punkt: Jede künstlerische Avantgarde oder Subkultur ist gezwungen, in einem permanenten Widerspruch zu leben. Man braucht Öffentlichkeit, um zu wirken, ist aber nur dann wirklich vor Inkorporation gefeit, wenn man sich ihr total verweigert.
Für die Stimmigkeit dieser These spricht dann übrigens, dass Faldbakken damit auch die Rezeptionsgeschichte des eigenen Buches vorhersagt. Nach der anfänglichen Skandalisierung wurde „The Cocka Hola Company“ ein Bestsellererfolg in Norwegen! Der Autor indes, auch das zeigt dieser Roman, besitzt die nötige ironische Grundhaltung, um nicht daran zu zerbrechen.
Für Aufregung gesorgt haben sicher das quasi allgegenwärtige, sehr explizite Geschimpfe vor allem Simpels, jene Passagen, in denen sehr witzig über Minderheiten und Randgruppen wie Designer, Pädagogen, Polizisten und Großindustrielle hergezogen wird – mit liebevoller Anteilnahme und Sympathie hingegen charakterisiert Faldbakken türkische Imbissverkäufer, schwarze Pornoaktricen oder Alkoholiker. Dazu entwirft er ein paar wunderbare Trash-Szenen, die man vergleichbar geschmacklos sonst nur noch bei Stewart Home lesen kann. Etwa wenn auf einer ausgelassenen Intellektuellen- und Künstlerparty die Gäste herumliegende Designer- und Architektur-Magazine zu Kegeln drehen, in Öl tunken und sich gegenseitig quiekend ins Rektum treiben. Das ist schon sehr komisch. Wie überhaupt dieser Roman bei aller Misanthropie und Schlechtgelauntheit vor burlesker Komik fast aus den Nähten platzt.
Matias Faldbakken: „The Cocka Hola Company“. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Blumenbar, München 2003, 462 S., 24 €