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Archiv-Artikel

Die Goldgräber vom Silbersee

AUS TEMPLIN ANJA MAIER

Heute hat der Nicki Zahnschmerzen. Dabei sollte er ab elf doch tanzen. Gestern war der Nicki noch zwei Stunden beim Arzt, es wurde gebohrt und getupft, auch ein Schmerzmittel verabreicht. Es hat nichts genützt: Es ist jetzt schon halb zwölf am Vormittag, und der Nicki hat immer noch Zahnschmerzen. Er kann heute nicht tanzen.

Der 81-jährige Cherokee-Choctaw-Indianer Buffalo Child – genannt Nicki – sitzt in seinem Campingsessel im Templiner Erdhaus. Der gewaltige Mann ist mit Federn geschmückt, der Lendenschurz in prächtigen Farben gehalten. Er schaut gequält, während um ihn herum dreißig Menschen zusehen, wie seine Kollegen Kathy Big Foot und Steven Black Stareyed Eagle einen alten indianischen Anschleichtanz aufführen. Ohne ihn.

Stampfende Musik begleitet die beiden, der Federschmuck wippt, die Mokassins wühlen das in dem gewölbeartigen Bau ausgestreute Sägemehl auf. Digitalkameras blitzen, der Rauhaardackel eines Besuchers beginnt zu bellen. Da hat der Nicki genug. Er geht. Raus aus der Erdhöhle, hinein nach Silver Lake City. Die Mainstreet hinunter, vorbei an Saloon und General Store, zurück zu seinem Blockhaus. Es eilt ein bisschen, denn um zwölf beginnt der Banküberfall. Und dann wird’s laut, zu laut für einen Cherokee mit Zahnschmerzen.

Der greise Indianer ist die Hauptattraktion in Silver Lake City, der, laut Eigenwerbung, „Westernstadt Ihrer Träume“ im märkischen Templin. Ende Juli, knapp vor dem Ende der Brandenburger Sommerferien, hat der Betreiber, die Passauer Hindenburg Hausbau GmbH, Silver Lake City eröffnet. Der Silbersee heißt hier Röddelinsee, und die Stadt ist erbaut auf dem Gelände des ehemaligen DDR-Pionierlagers „Marschall Klement Woroschilow“. Auf 70.000 Quadratmetern wurden – und werden – Ställe und Blockhäuser gebaut. Das Rauschen der Kiefern wird vom Lärm der Kreissägen und Hämmer durchbrochen. In der Häuserzeile entlang der Mainstreet stehen hintereinander schon die Cantina Mexicana, das Steakhaus und das Chinese Restaurant, an den eingedeckten Tischen sitzt niemand.

Still ruht der Silbersee

Wie es, abgesehen vom Hämmern und Sägen, überhaupt ruhig ist hier. Zu ruhig. 250.000 Besucher müssten jährlich, 1.200 täglich, zwischen März und Oktober nach Templin kommen, damit Silver Lake City schwarze Zahlen schreibt. Sie sollen sich amüsieren, eintauchen in die Atmosphäre einer Westernstadt Mitte des 19. Jahrhunderts, vielleicht etwas lernen über Cowboys und Indianer. Sie sollen 14 Euro Eintritt zahlen, und dann mehr Geld ausgeben: hier essen, trinken, auch übernachten.

Aber an diesem milden Spätsommertag sind es vielleicht hundert Besucher, die beim Banküberfall zuschauen und dann im Saloon Hähnchen-Nuggets essen gehen, bevor sie am Nachmittag wieder nach Hause fahren. Nach Berlin, nach Rostock. Immer mit dem Auto, denn die Westernstadt hat weder Bus- noch Bahnanbindung. Das Bullriding ist abgestellt, auch der Autoscooter. Das antike Kinderkarussell dreht sich nicht. Die Goldwaschanlage ist noch nicht fertig, auch die Bisons fehlen. Nur jeweils um zwölf und um drei wird es laut, wenn die Stuntmen draußen die Bank überfallen.

Im General Store steht Gaby Heusler hinter dem Ladentisch. In den Regalen hinter ihr warten Plüschpferde auf Käufer, Spielzeugpistolen und Zuckerstangen. Es kommt kaum jemand, dennoch steht sie hier jeden Tag bis 20 Uhr in ihrem bodenlangen dunkelroten Kleid mit dem Stehkragen, das gut zu ihrem blonden Haar passt. Gaby Heusler freut sich: Sie hat Arbeit. Bis zum Saisonende am 31. Oktober wird sie hier bedienen. Auch montags. Und deshalb hat sie dann auch keine Zeit, ins nahe Zehdenick zu fahren, um gegen Hartz IV zu demonstrieren. „Aber ich habe schon dagegen unterschrieben. In Templin hat die Gewerkschaft Unterschriften gesammelt gegen Hartz IV. Ist ja klar, dass ich da dabei bin.“

Gaby Heusler ist eigentlich „Wirtschaftskaufmann“, den Beruf hat sie noch in der DDR gelernt. Sie ist 39 Jahre alt, verheiratet mit einem Mann vom Bau – „dem wurde vor zwei Wochen gekündigt“. Sie hat zwei Kinder, 15 und 18 Jahre alt, eines davon ist chronisch krank. Ab 1. Januar wird sie, wenn sie nicht eine neue Arbeit findet, „ins Arbeitslosengeld II fallen“. Ihren Kindern sagt sie immer: „Gebt euch Mühe in der Schule! Ihr seht ja, was aus mir geworden ist.“

Was ist aus ihr geworden? Eine Frau, nicht alt, nicht ungebildet, nicht wirklich arm, die ein Vierteljahr lang in einem Westernpark Plüschpferde verkauft. Es könnte schlimmer sein.

An einer Arbeitslosenquote von 25,5 Prozent tragen die Templiner. Eine Zahl, die in Vor-Hartz-Zeiten im Grunde nicht viel bedeutet – ob 17 Prozent in Berlin oder 25 in Templin. Wirklich arm, wirklich elend leben die Menschen in ihrer schönen, durchsanierten Stadt nicht. Es ist eben nur so, dass Arbeitslosigkeit oft eine ganze Familie betrifft, und dass die alimentierten Uckermärker sich nicht gebraucht fühlen.

Goldrausch in der Uckermark

Und das trifft ja auch zu. Es gibt nicht viele Arbeitgeber hier: eine Therme, eine Rehaklinik, Hotels, etwas Holzindustrie, ein Krankenhaus, Verwaltung. Da bedeutet es schon etwas, wenn sich im Monat Juli – dem Eröffnungsmonat der Silver Lake City – 25 der 4.004 arbeitslosen Templiner beim Arbeitsamt abgemeldet haben. Darüber berichtet die Regionalzeitung, das gibt allen etwas wie Hoffnung auf Aufschwung. Und das lässt vergessen, dass die Passauer Betreibergesellschaft von Silver Lake City, HHB, eigentlich 95 Stellen für die Templiner schaffen wollte.

Doch das war noch zu einer Zeit, als die HHB Fördergelder wollte. Und die hat sie bekommen. Stolze 6,4 Millionen Euro hat die Brandenburger Investitions- und Landesbank (ILB) der HHB für den Bau von Silver Lake City zugeschossen, ein Drittel der Investitionssumme. Das zweite Drittel ist ein Bankkredit, das dritte ein geschlossener Immobilienfonds. Die HHB hat Erfahrungen mit diesem Modell. Denn der Ehemann von Geschäftsführerin Andrea Milotzki fungiert als Geschäftsführer in Pullman City II, einem seit vier Jahren bestehenden Westernpark im sachsen-anhaltinischen Hasselfelde.

Dieses Projekt wurde genauso wie Templin finanziert: Kredit, Immobilienfonds, Fördermittel. Den Fondsanlegern wurden hier wie dort Traumrenditen versprochen: zwischen siebeneinhalb und neun Prozent allein im ersten Geschäftsjahr. Pullman City II schreibt seit Jahren rote Zahlen, auch schon, als das Ehepaar Milotzki in Potsdam bei der ILB Fördergelder beantragte. Doch das hat das Land nicht abgehalten, die 6,4 Millionen Euro Steuergelder trotzdem lockerzumachen.

Für Arbeitsplätze tut man in Brandenburg inzwischen fast alles. Und in 5 Tagen wird der neue Landtag gewählt. Erstmals seit der Wende müssen die Sozialdemokraten um die Ministerpräsidentschaft bangen. Die PDS führt in den Meinungsumfragen. Die SPD leidet unter dem Hartz-IV-Knick, mit ihr die CDU unter ihrem Chef Jörg Schönbohm. Da macht es sich gut, wenn im pleitegebeutelten Brandenburg irgendwas geht. Und ein 17-Millionen-Projekt in der Uckermark ist mehr als irgendwas. Etwas wie ein kleines Großprojekt.

Mit denen hat Brandenburg so seine Erfahrungen. Euro Speedway, Cargolifter, Chipfabrik – Brandenburg ist mittlerweile bundesweit berüchtigt für seine gescheiterten Projekte. Stets wurden aus Jobmaschinen Fälle fürs Arbeitsamt. Und stets wurden Investoren, die Arbeitsplätze versprachen, großzügig bezuschusst.

Noch zur Eröffnung von Silver Lake City kündigten die Betreiber an, weitere 23 Millionen Euro investieren zu wollen: für eine Marina und eine Ferienhaussiedlung. Im Moment sieht es so aus, dass am Röddelinsee eine Westernstraße in den Sand gesetzt wurde.

Barkeeper und Bankräuber

Pressesprecher Siegfried Schiemann macht den weiteren Ausbau von den Besucherzahlen abhängig: „Wenn die so bleiben, machen wir weiter.“ Ein vager Satz, hingeworfen in bayerischem Dialekt, während eine Hand voll Kinder dem Trickkartenspieler zuschauen.

Die Uckermark, deren schönste Stadt Templin ist, besuchen jährlich 350.000 Touristen. Boot fahren wollen sie hier, Havelzander essen. Wollen sie auch 14 Euro für einen Westerntag bezahlen? André hofft es. Der 23-jährige Hotelfachmann aus Templin ist von HHB als Barkeeper und Bankräuber in Personalunion eingestellt worden. Für drei Monate, wie alle anderen. „Vielleicht wird hier ja was draus“, sagt er. Er hofft, dass er nach der Winterpause im März wieder eingestellt wird. Dass er die Stelle bekommen hat, freut ihn. Er geht nicht zur Montagsdemo und auch nicht zur Landtagswahl am Sonntag. „Meine Meinung zählt eh nicht“, sagt er und gibt sich flexibel: „Ich bin nicht geboren, um hier zu sterben.“

Viele seiner Freunde sind fortgegangen aus der Uckermark – zum Studium, zum Arbeiten, in den richtigen Westen, ins Ausland. Ja, Templin sei schön. Aber auch schön langweilig. Hier gebe es nichts für Jugendliche, nur die Disco in Neustrelitz und die Deutsche Sportjugend. Die Fördermilliarden, die seit der Wende in den Osten geflossen seien – gut und schön. Aber Arbeit gebe es woanders. „Man muss ja mal leben.“ Dann muss André los. In zehn Minuten wird’s wieder laut auf der Mainstreet: die Bank wird überfallen. Desperados kassieren in der Uckermark ab.