Madonnas Modereligion

Spiel mit jüdischer Symbolik, spirituelle Masturbation oder Heilslehre: Das „Kabbalah Centre“ hebt die herkömmliche Opposition zwischen Religiosität und Weltlichkeit auf – und ist in Hollywood gerade ziemlich angesagt. Ihre Verkaufshits sind ein unscheinbares rotes Bändchen und ein teures Buch

VON JUDITH HYAMS

Jede Dekade hat ihren Kult, behauptete unlängst das englische Magazin Glamour und nannte den Buddhismus für die Achtzigerjahre, Scientology für die Neunziger und für das neue Jahrtausend das Kabbalah Centre. Eine gewagte Aufzählung, die Religion, Sekte und esoterisches Potpourri in einen Sack packt – in ihrer Knappheit aber stimmt.

Zumindest was die Bekanntheit betrifft, steht das Kabbalah Centre – eine Adaption der jüdischen Geheimlehre Kabbala (siehe Kasten) – in den USA derzeit an erster Stelle. So macht Popdiva Madonna mit ihrem kabbalesken Getue fast täglich Schlagzeilen. In ihrem Windschatten stehen Gatte Guy Ritchie, Demi Moore, Mick Jagger, Paris Hilton, Winona Ryder, Monica Lewinsky, die Beckhams und seit neuestem auch Britney Spears, die aber vor allem durch falsch tätowiertes Kauderwelsch in hebräischen Lettern auffiel.

Madonna, die sich mittlerweile auch Esther nennt, ist eine vergleichsweise alte Häsin und beschäftigt sich schon seit erstaunlichen sieben Jahren mit der Heilslehre. Besonders deutlich wurde ihre neue Leidenschaft in ihrem Video zum James-Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“ (2002). Sie trägt dort hebräische Lettern als Tätowierung und ihren Arm mit dem Tefillin umwickelt, dem rituellen, traditionell von Männern getragenen ledernen Gebetsriemen. Dies veranlasste den amerikanischen Autor Rabbi Shmuley Boteach zu der Bemerkung, sie solle bitte erst ihre Kleider anziehen – und erst dann den Tefillin. Neben dem Spiel mit jüdischer Symbolik weisen vor allem Textstellen des Songs auf ihren neuen Glauben hin: „I’m gonna break the cycle, I’m gonna shake up the system, I’m gonna destroy my ego“.

Für ein urbanes Publikum

Tatsächlich ist eine der zentralen Botschaften des Kabbalah Centre, das eigene menschliche Ego zu zerstören und in eine möglichst unnarzisstische Spiritualität umzuwandeln – vor allem für Hollywoodstars ein schwieriges Unterfangen. Aber gerade in dieser Herausforderung liegt wohl das Geheimnis des Esoterik-Booms. Ganz auf die Nöte und spirituellen Leerstellen einer säkularisierten Konsumgesellschaft jedenfalls scheint die Botschaft des Kabbalah Centres ausgerichtet zu sein. „Das Kabbalah Centre ist ein universelles System zur Selbstverbesserung“, erklärt griffig Rabbi Yehuda Berg, Co-Chef der Organisation. Sich selbst verbessern wollen anscheinend nicht wenige, bis zu 200.000 „Klienten“ beehren weltweit 50 Lokalitäten, das Vermögen der Organisation soll sich auf etwa 25 Millionen US-Dollar belaufen.

Gegründet wurde es 1969 von Yahudas Vater, dem Rabbiner Philip Berg. Er wollte die kabbalistischen Lehren erforschen, weitertragen und einem breiten Publikum zugänglich machen. Ähnliche Bestrebungen gab es schon davor, seine Öffnungsstrategie aber war die radikalste. Herausgekommen ist ein Konglomerat aus New-Age-Spiritualismus, Pop-Psychologie und, ja auch, kabbalistischen Elementen. Dass diese Mischung wie zugeschnitten ist auf ein westliches, urbanes, nicht notwendigerweise jüdisches Publikum, stört dabei nicht – im Gegenteil.

So steht das Kabbalah Centre in Opposition zur echten Kabbala, die mit „Empfangen“ oder „Überlieferung“ übersetzt wird. Grundlage ist neben dem heiligen Inhalt der hebräischen Schriften vor allem seine materielle Erscheinungsform, also die Buchstaben. Indem die frühen Kabbalisten diese in komplizierten Kombinationen ordneten und vernetzten, versuchten sie dem unantastbaren Grundlagentext der Thora und seinen verbindlichen talmudischen Auslegungen neue Interpretationen abzugewinnen. So machten sie sozusagen das Medium selbst zur Botschaft. Von Interesse waren nicht nur die Gesetze, die Gott den Menschen auflegt, sondern Geheimnis und Essenz Gottes selbst.

Als akribische und kodierte Lehre ist ein leichter Einstieg unmöglich. Schon der große Kabbalist Abraham Abulafia sagte im dreizehnten Jahrhundert über die kombinierten Zeichen: „Je unverständlicher sie sind, desto höher ist ihr Rang.“ Als Hauptwerk gilt der um 1280 geschriebene Text der „Sohar“. Seine spekulative Auslegung der Thora beeinflusste sowohl jüdische Nichtkabbalisten als auch Christen. So hat die Kabbala trotz ihrer Unzugänglichkeit, vielleicht aber auch gerade deshalb immer auch Außenstehende gereizt. Der Berliner Rabbi Walter Rothschild, der sich in seinem Beruf natürlich auch mit der Kabbala beschäftigt hat, sieht im Kabbalah Centre nur „spirituelle Masturbation von Sinn suchenden Leuten, die nicht mal die einfachsten spirituellen Übungen und Rituale kennen“. Vor allem religiöse Juden misstrauen der Modereligion, warnen vor Scharlatanerie und dem Spiel mit dem Aberglauben.

Tatsächlich haben es die Kritiker leicht, bietet das Kabbalah Centre doch neben dem Heilsversprechen ein Sammelsurium kostspieliger Devotionalien an: So sind im Onlineshop geweihtes Mineralwasser (15 Dollar) oder Kerzen, die „Unsicherheit besänftigen“ (20 Dollar/Stück) käuflich zu erwerben. Verkaufshit ist das rote Armbändchen (26 Dollar), was die Organisation im Februar zu dem Versuch veranlasste, es als Marke eintragen zu lassen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Tolerante McSpirituality

Unverzichtbares Attribut ist natürlich das 10.000 Seiten schwere Buch der „Sohar“, das mit etwa 450 Dollar mindestens dreimal so teuer ist wie jede andere Ausgabe. Die Investition lohnt sich, denn im Centre wird den Adepten versichert, dass sie die schwer verdauliche Lektüre fortan nicht mehr zu lesen brauchen, sondern ganz einfach „scannen“ können, indem sie mit dem Finger drüberfahren oder mit den Augen drüberschweifen. Überhaupt sei die bloße Anwesenheit des Buchs in der Wohnung schon ein Schritt zur Glückseligkeit, weshalb besonders empfohlen wird, ein Exemplar in jedem Zimmer zu platzieren.

Wie das „Best of“ eines beliebigen „positive thinking“-Seminars wirkt die leicht praktizierbare Lehre, neben Karma- und Reinkarnationselementen stehen schlichte Weisheiten wie „Übernimm Verantwortung!“ oder „Sei nicht zornig!“. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden, und tatsächlich sehen milde Kritiker das Kabbalah Centre als einen Weg, immerhin etwas Sinn und Besinnung in den stressigen Großstadtalltag zu bringen. Als leicht erlernbare und tolerante McSpirituality harmoniert es bestens mit anderen Wohlfühllehren, nicht nur Hollywoodstars praktizieren deshalb Yoga für den Körper, Feng Shui für die Wohnung und eben Kabbalah Centre für die Seele.

Dass die herkömmliche Opposition zwischen religiös und weltlich nicht mehr gilt, ist eines der Hauptmerkmale der New-Age-Bewegung – und damit auch des Kabbalah-Centres. Seinen Anhängern zwingt es weder eine strikt religiöse Lebensführung auf noch ein traditionell moralisches Wertesystem. In aller Offenheit agiert es außerdem in bester kapitalistischer Manier. Von der effizient anwendbaren Heilslehre über Kurse wie „Kabbalah und Business“ bis hin zu Produkten mit höchst unheiligen Preisen – angesprochen wird immer ein urbanes, wohlhabendes Publikum, dem es nicht an Geld, sondern an Sinn mangelt.

Suche nach der Wundertür

Boaz Huss, Professor für Jüdische Studien an der Ben Gurion University of the Negev, sieht das Kabbalah Centre denn auch als globales Wirtschaftsunternehmen, ja als „Teil der kulturellen Logik des Spätkapitalismus“.

Und Madonna? Sie hat nicht nur eine Londoner Zweigstelle mit sechs Millionen Dollar kräftig unterstützt, sondern auch kürzlich 22 Millionen Dollar in eine New Yorker Kabbalah-Centre-Schule gesteckt. So wie Pop-Sängerin die Grenzen zwischen Religion und Entertainment verwischt, lässt auch das Centre die Übergänge verschwimmen, indem es Madonna sowohl in seine Praktiken als auch seine Werbung einbezieht. So ist Madonnas mit kabbalistischen Hinweisen gespicktes Kinderbuch „Die Englischen Rosen“ auf der Centre-Website (www.kabballah.com) unter „spirituality-for-kids“ und in den Läden des Centres zu erwerben.

Dass die Gründerfamilie Berg so sehr im Mittelpunkt ihrer Organisation steht und bis hin zur weißen Kleidung vollkommen „erleuchtet“ rüberkommt, mag anziehend auf die Jünger, verdächtig aber auf alle anderen wirken. Schließlich gehört Personenkult zur Grundausstattung jeder Sekte. Wirklich bedenklich sind aber die Mechanismen des Imperiums, bei jeder Gelegenheit Gewinn zu machen. Gehirngewaschen werden die Jünger kaum, auch scheinen die esoterischen Lehren nur begrenzt abhängig zu machen. Schädlich ist nur der zunehmende Realitätsverlust der Anhänger, durch den sie sich ihre Taschen gründlich leeren lassen.

Besonders schnell hat das wohl Jerry Hall kapiert, die mit dem wütenden Ausspruch zitiert wird: „Ich wusste nicht, dass man zehn Prozent seines Einkommens spenden muss, um durch die Wundertür zu gehen.“

Das ist wohl die einzige Gemeinsamkeit, die heutige Glücksbandträger mit spätmittelalterlichen Kabbalisten teilen: die Suche nach Erkenntnis und der Wunsch, durch eine Wundertür zu gehen. Sonst steckt nicht viel Kabbala drin, wo Kabbalah Centre draufsteht.