: 200 Seuchentote täglich in Darfurs Lagern
Hilfswerke im Sudan schlagen Alarm: Humanitäre Situation in Darfurs Vertriebenenlagern immer dramatischer. Kleinkinder in „regendurchtränktem Matsch gemischt mit Exkrementen“ sterben an Durchfall und Unterernährung
BERLIN taz ■ Über 200 Menschen sterben jeden Tag in den Vertriebenenlagern der sudanesischen Krisenregion Darfur an Seuchen, Krankheiten und Gewalt. Diese erschreckenden Zahlen legte am Montag die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor. 144 Tote pro Tag in den Lagern zählt die WHO in West-Darfur, 57 in Nord-Darfur. Untersuchungen in Süd-Darfur mussten aus Sicherheitsgründen unterbrochen werden. Die Zahlen beziehen sich auf eine repräsentative Erhebung in den international betreuten Vertriebenenlagern zwischen Mitte Juni und Mitte August. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert.
„Die Todesrate unter Vertriebenen in Nord- und West-Darfur ist drei- bis sechsmal so hoch wie normal“, erklärt die WHO. Bei Kleinkindern ist Durchfall die wichtigste Todesursache. Die WHO führt das auf „die Kombination von Überbevölkerung der Lager, Mangel an sauberem Wasser, Mangel an Latrinen, Mangel an Seife und den Dreck, den regendurchtränkter Matsch gemischt mit Exkrementen bildet“ zurück. Hygiene sei unter diesen Bedingungen „unmöglich“. Gewalt sei die Ursache von 15 Prozent aller Todesfälle.
Die Untersuchung unterstreicht, wie wichtig es ist, die humanitäre Hilfe für Darfurs 1,2 Millionen Binnenvertriebene massiv zu steigern. Von den dafür nötigen 531 Millionen Dollar, um die die UNO weltweit gebeten hat, sind bislang nur 276 Millionen überhaupt zugesagt worden. Für Sudan insgesamt – in Südsudan ist nach Jahrzehnten Krieg der Großteil der Bevölkerung von humanitärer Hilfe abhängig – sind 434 Millionen der benötigten 722 Millionen Dollar gedeckt.
Nicht alle der 1,2 Millionen Vertriebenen und der eine Million weiteren Hilfsbedürftigen in Darfur bekommen überhaupt Hilfe. Das UN-Welternährungsprogramm WFP versorgte im August insgesamt 940.418 Menschen in Darfur, ein Rückgang von 951.855 im Juli. Die Gründe listete das WFP letzte Woche so auf: „Viele Lastwagen strandeten manchmal tagelang an den Ufern überfluteter Flussbetten. Die einzige Eisenbahnverbindung nach Darfur war fünf Tage lang unbrauchbar, nachdem der Regen sie unterspülte. Schlechtes Wetter zwang die Vertagung mancher Luftabwürfe in West-Darfur. Niederschläge machten West-Darfurs Landepiste unbrauchbar. Unsicherheit verringerte die Zahl der erreichbaren Personen erheblich.“
Nach US-Angaben gibt es in Darfur insgesamt 154 „Konzentrationen von Binnenvertriebenen“, von denen lediglich 82 auswärtige Hilfe erhalten. Auf eine Konsequenz davon weist die US-Entwicklungsbehörde USAID bereits seit Wochen regelmäßig und vergeblich hin: Extrem hohe Raten von Unterernährung in den Vertriebenenlagern. 13 bis 39 Prozent der Kleinkinder in Darfurs Lagern leiden demnach an akuter Unterernährung, 36 bis 39 Prozent in den Lagern im östlichen Tschad.
Die Vertreibungen durch Sudans Regierungsstreitkräfte und verbündete Milizen gehen indes weiter. Seit dem 26. August sind allein in Süd-Darfur nach Angaben von Hilfswerken mindestens 40.000 Menschen vertrieben worden. Das Lager Greda 100 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Nyala wuchs bis zum 7. September von 10.000 auf über 40.000 Insassen, berichtete Oxfam und wies darauf hin, dass es angesichts der schlechten Straßenverbindungen und der anhaltenden Regenzeit fünf bis sechs Tage dauert, Hilfsgüter dorthin zu bringen. Weitere neue Flüchtlingsströme wurden seit Anfang September südöstlich von Nyala sowie in der Nähe von Nord-Darfurs Hauptstadt El-Fasher gemeldet.
Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ schätzt die Zahl der Todesopfer des Darfur-Konflikts, der im Frühjahr 2003 begann, auf mittlerweile 120.000. UN-Schätzungen liegen bei 50.000. Sudans Regierung weist selbst die niedrigere Zahl zurück.DOMINIC JOHNSON