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Archiv-Artikel

„Mit 13 kam ich in die Szene“

Von ANNA

VON ANNA

Mit der Szene kann ich heute nichts mehr anfangen. Klingt wie so ein Lippenbekenntnis, das man eben jetzt sagen muss, wenn man raus ist. Wie konnte ich nur, wie war ich verblendet, solche Sätze werden doch erwartet. Mit 13 Jahren kam ich in die Szene, über meinen damaligen Freund, könnte ich jetzt irgendwie entschuldigend erzählen. Dass ich in einem Heim groß wurde, keinen tollen Schulabschluss machte, wohl auch. Aber so einfach will ich es mir jetzt auch nicht machen. Ich war eine Rechtsextremistin, ich war nicht bloß eine Mitläuferin, ich wusste genau, was ich tat.

Mit dem Freund machte ich schnell Schluss, der ging eigentlich nur zu den Partys. Ich fand die Sprüche gegen Ausländer völlig richtig. Dass die nur auf unsere Kosten leben, glaubte ich. Mit der Zeit wollte ich aber mehr politisch machen. Und so übernahm ich immer mehr diese Einstellungen: Deutsche zuerst, wir schützen Volk und Vaterland. Ich hinterfragte wenig, ging alleine zu den Kameradschaftsabenden und Parteitreffen. Bratwurst statt Döner, ja, ich weiß, auch das klingt peinlich, aber ich lebte das. Je öfter ich zu den Kameradschaftstreffen kam, umso mehr wurde mir vertraut. Die älteren Kameraden begannen mir Aufgaben zu übertragen. Da war ich echt stolz. Ich bin wer, ich habe was zu sagen. Und im Hintergrund übernahm ich Aufgaben über Aufgaben. Eine große Rednerin bei Aufmärschen war ich nicht. Aber die Märsche vorbereiten, die Kameraden verbindlich zusammenzutelefonieren, die Busse bestellen und vorab die Flugblätterverteilung zu organisieren, all das machte ich.

An die 40 Leute waren wir eine Zeit lang. Fühlten uns stark, trafen uns immer wieder. Pflegten das Netzwerk der einzelnen Kameradschaften: Wanderungen, Sonnenwendfeiern, Museumsbesuche oder einfach zusammen abhängen. Nach der Schule, nach der Arbeit war ich nur noch für die Bewegung unterwegs. Meine Freunde aus der Szene – ich hatte drei in der Zeit – fanden das anfänglich immer gut, später nervte sie das und sie mich. Wenn die mich einengten, sagte ich: tschüss. Die Bewegung war alles für mich. Als ich 18 wurde, erhielt ich gleich einen NPD-Mitgliedsantrag. Die Partei fand ich aber viel zu lasch. Ich blieb lieber bei den Kameradschaften, half aber bei der NPD. Später baute ich die AN mit auf.

Eine Frauenkameradschaft versuchte ich zu gründen. Doch die meisten Mädels hingen da nur ab, weil ihre Freunde dazugehörten. War die Beziehung zu Ende, waren sie weg. Frauen wurden nur als Sexobjekt gesehen. Rumgereicht, aber, na ja, die sind auch selbst schuld gewesen, schnelle Nummer auf dem Klo und so. Meist sind die politisch wirklich dumm. Mich hat das genervt, die wollten gar keine Politik machen. Als ich versuchte, bei den Mädels – weil ein älterer Kader meinte: Kümmere dich doch um die – durchzusetzen, dass sie bitte nicht so mit Bomberjacken und Springerstiefel rumlaufen sollen, blieb das ungehört. Die haben gar nicht verstanden, dass gerade wir als Frauen, wenn wir nicht wie Klischeenazis aussehen, viel mehr Zuspruch finden. Wenn wir Bürgerzeitungen verteilten und nett daherkamen, war der Zuspruch viel größer.

Nach sieben Jahren kamen bei mir aber immer mehr Fragen auf, zur Politik, zur Weltanschauung. Die Antworten reichten mir nicht. Meine Fragen wurden nicht beantwortet. Warum nehmen uns die Ausländer die Arbeit weg, wenn doch hier kaum welche leben, wieso ist der Deutsche mehr wert als der Türke? Unsere Exkameraden haben ja schon im Internet geschrieben, das „stundenlange weltanschauliche Gespräche“ mir nichts mehr brachten.

In Dresden war ich nun erstmals bei der Gegendemo. Märsche habe ich ja viele mitgemacht. Hab auch mal auf einen „Bullen“ mit dem Megaphon eingeschlagen. Bei der Antifa wurde ich aber prompt festgenommen, obwohl ich nichts getan hatte – zum ersten Mal. Mit den Nazis geht die Polizei anders um. Glauben die Exkameraden ja nicht.

Von den Rechten ging ich weg, weil mit der ganze Hass und die Gewalt gegen Migranten, Juden und Andersdenkende unerträglich wurde. Das wurde mir zu viel.