„Rettet die Korallen!“

Der Essener Hydrobiologe Helmut Schuhmacher kämpft mit Forscherkollegen für die Erhaltung der Korallenriffs in den Weltmeeren. Er selbst hat eine Methode entwickelt, wie sich durch Kalk bindende Drahtgebilde langsam neue Riffs entwickeln

VON HOLGER ELFES

„Das Korallenriff ist eine Ikone der heilen Welt“ sagt Helmut Schuhmacher. Der Hydrobiologe am Campus Essen der Universität Duisburg-Essen befasst sich seit rund vier Jahrzehnten wissenschaftlich mit dem einzigartigen Biotop unter der Wasseroberfläche. Er gilt als einer von zwei Top-Korallenspezialisten in Deutschland. Eine Sammlung von 5.000 bis 6.000 Korallen nennt er sein eigen.

Mit der heilen Welt sieht es zur Zeit eher schlecht aus. Schlechter denn je, findet Schuhmacher. Im Namen der von ihm 1982 mitbegründeten „International Society for Reef Studies“ schlägt er Alarm. Vom „International Coral Reef Symposium“ in Okinawa, dem alle vier Jahre stattfindenden „Gipfeltreffen“ der Korallenriff-Wissenschaftler, ging der Appell aus, endlich mehr zum Schutz der geschädigten Riffe zu tun. In den vergangenen 20 Jahren sei ein gravierender Verfall der Korallen-Bestände zu beobachten gewesen, so Schuhmacher. Bis zu 70 Prozent seien inzwischen stark geschädigt, davon hätten nur 30 Prozent ein Erholungspotenzial. Besonders stark betroffene Gebiete lägen in Südostasien und in der Karibik. Die Restaurierung der Riffe würde Jahrzehnte dauern.

Hauptrisiken für die Korallen sind der starke Sedimenteintrag in die Küstengewässer, die zunehmende Schifffahrt und der Boom des Tauchtourismus. „In den Länden der Dritten Welt wächst die Bevölkerung stark an“, resümiert der Hydrobiologe. Dadurch erhöhe sich die küstennahe Bautätigkeit, Wälder werden gerodet und durch Starkregen enorme Mengen Sediment ins Meer geschwemmt. Setzt sich der Staub auf die Korallen, sterben sie mangels ihrer Fähigkeit zur Selbstreinigung ab.

„Korallen brauchen sauberes und gut durchlichtetes Wasser“, so Schuhmacher. Der Seeverkehr mit immer mehr und immer größeren Schiffen verursacht mechanische Zerstörungen. „In Sharm El Sheikh liegen 198 große Schiffe im Hafen“, so der Korallenforscher – eine Vervielfachung in den letzten Jahrzehnten. Damals war der heute beliebte Badeort auf dem ägyptischen Sinai noch unbekannt, die Riffe in perfektem Zustand. Heute rauscht die Flotte der Ausflugs- und Versorgungsschiffe immer wieder in die hafennahen Riffe und zerbröselt die empfindlichen Kalkgebilde.

So problematisch die Lage im Roten Meer auch ist, im Vergleich zu anderen Meeresregionen geht es den Riffen am Sinai noch recht gut. „Auf den Philippinen und vor Florida ist es noch schrecklicher“, urteilt Schuhmacher. Dynamitfischerei setzt den empfindlichen Organismen zu. Pestizidausschwemmungen vom australischen Zuckerrohranbau haben dazu geführt, dass sich die winzigen Korallentierchen im Great Barrier Reef nicht mehr richtig vermehren. Und das, obwohl dieses größte Riff der Erde immerhin 50 Kilometer von der Künste entfernt liegt.

Globale Faktoren – gegen die die Korallenforscher nichts tun können – spielen auch eine Rolle. So steigt die Meerestemperatur messbar an. Für Korallen bedeutet das Stress. Sie werden krank und sterben oder reagieren mit der so genannten „Korallenbleiche“. Im Sommer 1998 habe es eine solche Erscheinung gegeben. „50 bis 90 Prozent aller Korallen in einer Tiefe von fünf bis zehn Metern waren davon betroffen“, schätzt Schuhmacher. Eine Regenerierung ist möglich, allerdings trat das Phänomen schon im letzten Jahr wieder auf. Zu kurz für eine wirkliche Erholung der Bestände. Ein tendenziell steigender Meeresspiegel bedroht weitere Korallenarten. Da sie nicht in der Lage sind, den Standort zu wechseln, bekommen sie weniger lebensnotwendiges Licht. Andere Arten wie Schwämme oder weiche Korallen nehmen den Platz der Riffbauer ein. „Für den Taucher sieht das auch recht bunt und hübsch aus“, weiß der Hydrobiologe, „für die Steinkorallen bedeutete es das Aus.`“

Die internationalen Korallenschützer ziehen für ihren Appell die letzte Trumpfkarte. „Wir argumentieren mit den wirtschaftlichen Schäden durch den Schwund der Riffe“, so Schuhmacher. Ohne die natürlichen Barrieren vor den Küsten sind diese der Gewalt der Elemente schutzlos ausgeliefert. Um sich gegen Sturmfluten zu wehren, müssten dann teure Befestigungen und Wellenbrecher aus Beton gebaut werden. Und auch die Fischerei nimmt Schaden, wenn die Laichgründe der Korallenriffe zerstört sind.

Die Zahl der Tierarten in tropischen Riffen wird insgesamt auf über eine Million geschätzt. Und das, obwohl Korallenriffe nur eine Fläche von 0,2 Prozent der Weltmeere ausmachen. Und auch Tauchtouristen könnten ausbleiben, wenn es unter Wasser nichts mehr zu sehen gibt. Ein kleines bisschen helfen können die Forscher denn doch. „Aber das ist noch nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein“, findet Schuhmacher, der eine Methode entwickelt hat, auf sanfte Art künstliche Riffe zu bauen. Aus einfachem Hühnerdraht werden beliebige Formen gebildet – die Grundlage des Riffs aus Menschenhand. Die Gebilde lässt das Team um Professor Schuhmacher dann ins Meer und legt einen leichten elektrischen Strom an. Durch einfache Elektrolyse lagert sich Kalk auf dem Draht ab: Eine ideale Grundlage für die Ansiedlung neuer Korallenstöcke.

Um rund einen Zentimeter pro Jahr wachsen die dort angesetzten Korallenbäumchen. Die optimale Dosierung der elektrischen Spannung ist ein Ergebnis der jahrelangen Forschung des Esseners. Ist sie zu hoch, bildet sich das Kalkskelett zwar schneller um den Draht, ist aber instabil und bröselig. Eine schwache Spannung garantiert optimale Härte, die es sogar einem Menschen erlaubt, über die Konstrukte zu laufen. Erfahrungen hat man schon gesammelt im ägyptischen Ras Mohammed-Nationalpark. Wer dort auf Tauchtour geht, entdeckt zwischen den Korallen im fahlen blauen Licht mehrere eigenartige Drahtkonstruktionen, eine Mischung aus gespenstisch wirkender Schiffstakelage und Maschendraht. Bojen markieren die Testflächen. Dicke Kabelstränge verlieren sich in Richtung der 200 Meter entfernt liegenden Küste und enden hinter den Dünen am Strand. „Wir kooperieren gut mit den ägyptischen Behörden“, erzählt Schuhmacher. Keine Selbstverständlichkeit in dem arabischen Land, wo selbst Umweltschützern für die Genehmigung ihrer Arbeit diverse Gebühren abverlangt werden.