: Der Treck nach Osten
Gegen den Trend: Die Galerie F92 zeigt eine Ausstellung mit Bildern des Fotografen Roland Köhler. Er hat Menschen porträtiert, die in den letzten Jahren aus der Stadt in die Uckermark gezogen sind
VON SANDRA LÖHR
Die Botschaft auf den Fotos scheint klar zu sein: Hier in der Uckermark findet man vielleicht nicht so viele Jobs, aber dafür zu sich selbst. Jedenfalls wirken die meisten der von Roland Köhler porträtierten Menschen in der uckermärkischen Gegend ziemlich glücklich, oder zumindest zufrieden und ausgeglichen. Auf den kleinen Zetteln, die neben den Fotos kleben, stehen Name, Wohnort und Beruf der Porträtierten. Darunter sind Architekten, Landwirte, Lehrer, Diplom-Physiker, Künstler, genauso oft liest man aber auch Bezeichnungen wie: Hausbesetzer, Puppenspieler, Rentner oder arbeitslos, Sozialhilfeempfänger oder ehrenamtlich tätig.
Es ist wohl eher die pure Projektion, gespeist aus tausend Klischees vom Leben auf dem Land, die einen denken lässt, dass die, die der Stadt den Rücken gekehrt haben, so aussehen müssen. Als großstädtischer Betrachter will man das eben gerne so interpretieren, wenn man die Schwarz-Weiß-Porträts betrachtet, die Menschen zeigen, die sich mit viel Fantasie und Aufbruchswillen eine neue Heimat in den kargen Weiten der nordostdeutschen Provinz geschaffen haben. Denn wer träumt nicht manchmal davon? Von der Terra incognita, die man entdecken und besiedeln kann? Von unverbauten und unerschlossenen Gegenden, von sanft wogenden Feldern vor der Haustür, von einsamen Seen, an denen man sich nicht mit tausend anderen drängeln muss, von alten Alleen mit Kopfsteinpflaster, die zu verfallenen und verlassenen Gutshäusern und Bauernhöfen führen, die man noch zu einem Spottpreis erwerben kann. Das Ganze natürlich bitte nur circa eine Autostunde von der Metropole entfernt, damit man sich im Fall der Fälle doch mal das eine oder andere Theaterstück oder den neusten Kinofilm angucken kann. Und damit man wenigstens ab und zu Besuch aus der Stadt bekommen kann, der dann die unverbrauchte Idylle gebührend bewundern muss.
Diese Bilder hatte auch der Fotojournalist Roland Köhler im Kopf, als er 1998 von Berlin genug hatte und mit seiner Familie aufs Land in die Uckermark zog – in jenen dünn besiedelten Landstrich nördlich von Berlin, über den Volker Koepp vor zwei Jahren seinen elegisch-melancholischen Dokumentarfilm gemacht hat. Aber seine Fotos zeigen keineswegs nur die romantische Seite des Landlebens, sondern dokumentieren die reale Lebenssituation der jetzigen Neu-Bewohner. Und die ist alles andere als einfach. Die Uckermark hat heute nur noch ca. 140.000 Bewohner und eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent. Seit der Wende zogen hier immer mehr Menschen weg. Besonders die Jungen und die gut Ausgebildeten. Schulen, Kneipen und Geschäfte schlossen. In manchen Dörfern blieben nur die Alten übrig – und der Briefkasten, als letzte öffentliche Einrichtung.
Umso erstaunter war Roland Köhler, als er im Lauf der Zeit immer mehr Menschen kennen lernte, die den umgekehrten Weg gegangen waren und die gerade in dieser strukturschwachen Gegend mehr Freiräume und Chancen sahen als anderswo – und hier versuchen ihre Projekte oder Träume vom alternativen Leben zu verwirklichen. Die meisten kommen, wie Köhler und seine Familie, aus Berlin, aber auch aus westdeutschen Großstädten. Darunter sind Familien mit kleinen Kindern genauso wie Künstler, Aussteiger oder Unternehmer und Freiberufler. „Das Bild, das man üblicherweise von der Uckermark hat, wollte ich mit meinen Fotos revidieren“, sagt Roland Köhler. „Also das Bild vom Problem-Landstrich oder das von den paar idyllischen Rad- und Wanderwegen, die man so kennt. Ich wollte einfach zeigen, dass hier total viel passiert.“
Im Gegensatz zu Koepps Dokumentarfilm spielt die Landschaft in Köhlers Arbeiten nur eine Nebenrolle. Man könnte fast sagen, dass sie sich eher in den Gesichtern der Menschen spiegelt als dass sie selber in Erscheinung tritt. Im Vordergrund seiner Fotos stehen die Menschen, die versuchen, sich in und mit dieser Landschaft ein neues Leben aufzubauen. Da ist das glücklich lachende Ehepaar, das einen Bio-Bauernhof betreibt. Oder die ältere Yogalehrerin, wie sie im Lotus-Sitz auf einem weitläufigen, ausgebauten Dachboden sitzt. Und da sind Menschen wie Harry Kraus, der Wanderschmied, der 2002 mit seinem Traktor aus Bayern kam, heute in einem alten umgebauten Bus wohnt und schon zweimal mit seiner Kunst auf der documenta war. Allerdings uneingeladen.
Die Fotos erzählen vom Traum des ganz anderen Lebens – fern von den Zumutungen der Moderne und der Stadt mit all ihren Zwängen. Doch die Realität dürfte bitterer sein – und manchmal lugt sie aus den Bildern hervor, finden sich Anzeichen einer Armut, wie man sie vielleicht nur im Tausch gegen Ruhe, Einsamkeit und Natur ertragen kann. Da sieht man statt einer Tapete Zeitungsseiten, die auf die rohe Wand geklebt sind, und die Sperrmüll-Möbel eines in seinem Wohnzimmer fotografierten Ehepaares erzählen von der bewusst gewählten Einfachheit des abgeschiedenen Landlebens.
Im Begleitheft zur Ausstellung, in dem man mehr über die Menschen erfährt, drückt es einer der Porträtierten, Eckhard Gorontzi, so aus: „Die Geldströme der Gesellschaft kommen hier nicht an, man kann hier kein Geld verdienen und auch keins ausgeben. Der produktive Teil hat sich aus dem Dorf verabschiedet, übrig sind nur die Rentner und die Zugezogenen, aber dafür lernt man es, mit relativ wenig Geld zu leben.“
Daneben stehen Erfolgsgeschichten wie die von der Ortschaft Wallmow, in der mittlerweile mehr Zugezogene als alteingesessene Bewohner leben und wo es die Neuen schafften, für ihre Kinder eine Schule zu gründen.
Doch das Zusammenleben in den Ortschaften zwischen alten und neuen Bewohnern ist nicht immer einfach. Es gibt auch Geschichten wie die von Bernd Walter, der sich ein leer stehendes Gutshaus kaufte und es irgendwann wieder verkaufte, weil er keine Lust mehr hatte, gegen die Ablehnung der Dorfbewohner anzukämpfen.
So bedienen die Fotos einerseits jene Sehnsucht nach dem vermeintlich so anderen und „einfachen“ Leben auf dem Land. Andererseits dokumentieren sie die Widrigkeiten, mit denen die Neusiedler zu kämpfen haben. Dadurch wird die Uckermark in Köhlers Bildern zu einem Sehnsuchtsort, an dem sich die unterschiedlichsten Wünsche und Träume der deutsch-deutschen Nachwendezeit treffen.
Ausstellung „Die Zugezogenen. Dokumentation der Neusiedler in der Uckermark von Roland Köhler“: Bis zum 15. Oktober in der Galerie F92, Fehrbelliner Str. 92., Prenzlauer Berg