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Archiv-Artikel

Sarrazin bleibt sich treu

Die Staatsanwaltschaft klagt Thilo Sarrazin wegen Untreue an. Der will dennoch im Amt bleiben. Aber ist der Finanzsenator politisch noch haltbar? 13 Fragen und 13 Antworten zur Tempodrom-Affäre

VON STEFAN ALBERTI

Die Staatsanwaltschaft hat gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin Anklage wegen Untreue erhoben. Wie geht es weiter?

Erst mal gar nicht. Die Anklage liegt zwar jetzt beim Landgericht. Dort muss die zuständige 36. Strafkammer klären, ob sie die Anklage zulässt. Wie lange das dauert, ist völlig offen. In dieser so genannten Zwischenprüfung können sich die Angeschuldigten nochmals selbst äußern.

Worum geht es im Kern?

Um 1,7 Millionen Euro, die die landeseigene Investitionsbank (IBB) dem Tempodrom 2002 zuschoss. Fast Peanuts gegenüber der von CDU-Senatoren politisch verantworteten 10-Millionen-Bankbürgschaft aus dem Jahr 2000 oder der 7-Millionen-Rettungsbeihilfe von Rot-Grün kurz vor der Wahl 2001. Finanzsenator Thilo Sarrazin, der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder und der Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch (alle SPD) stimmten im für die IBB zuständigen Aufsichtsgremium zu. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten wissen müssen, dass dem Tempodrom damit nicht zu helfen und das Geld verloren war. Weil die IBB hier sponserte, soll weniger Geld aus ihren Erträgen in ein Landesschulprogramm gegangen sein. Sarrazin widerspricht: Kein Cent weniger als geplant sei geflossen.

Wieso erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Sarrazin und Strieder, nicht aber gegen Staatssekretär Strauch?

Strauch sei nur kurzfristig mit der Sache befasst gewesen, sagt die Staatsanwaltschaft, zudem im IBB-Ausschuss nur in Vertretung für Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS). Anders als Strieder und Sarrazin habe Strauch auch nichts mit der Vorgeschichte des IBB-Sponsorings zu tun.

Warum klagt die Staatsanwaltschaft hier binnen sieben Monaten an, während bei Klaus Landowsky (CDU) die Bankaffäre schon über drei Jahre und bisher folgenlos zurückliegt?

Selbst SPDler gehen nicht so weit, hier lauthals zweierlei Maß zu unterstellen. Der zentrale Unterschied: In der Bankaffäre füllen die Akten fast eine Lagerhalle, bei den Tempodrom-Ermittlungen beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft nur mehrere dutzend Kisten Material. Der jetzt angeklagte Komplex mit Sarrazin ist zudem der konkreteste, weil es um eine einzige Entscheidung in einem einzigen Aufsichtsgremium geht.

Kann man Sarrazin mit Strieder vergleichen?

Sarrazin solle es so machen wie der im April zurückgetretene Exsenator Peter Strieder, fordert die CDU. Diese Gleichsetzung ignoriert, dass Strieder das Tempodrom seit den 90ern förderte, Sarrazin hingegen erst Anfang 2002 in die Landespolitik einstieg. Damit fehlt der langjährige Fundus für immer neue Vorwürfe. Zudem ist Sarrazin beliebter als Strieder bei den Journalisten, die über ihn schreiben. Und Rot-Rot wird seine Haltung stark davon abhängig machen, wie sich die von ihnen formulierte öffentliche Meinung entwickelt.

Könnte Wowereit Sarrazin schlicht rauswerfen, wenn ihm die Sache zu heikel wird?

Nein. Der Berliner Regierungschef kann im Gegensatz zu fast allen anderen Ministerpräsidenten Senatoren weder ernennen noch entlassen. Das ist dem Parlament vorbehalten. Sarrazin kommt nur auf zwei Wegen aus dem Amt: Entweder geht er freiwillig, oder – kaum denkbar – die rot-rote Mehrheit im Abgeordenetenhaus wählt ihn ab.

Warum wirft Sarrazin nicht von sich aus hin?

Anlass genug hätte er. Sarrazin ist 59 und musste sich gerade einen Tumor am Hörnerv entfernen lassen. Dass er trotzdem nicht geht, hat weniger mit Machtverliebtheit zu tun, die Strieder lange im Amt hielt. Was sich in allen Spardebatten zeigte, gilt auch hier: Sarrazin ist hartnäckig. „Stur“ sagen die, die ihn nicht mögen. Für ihn gilt, dass er sich nichts vorzuwerfen hat. Zudem steht er in der Pflicht, nachdem sich SPD und PDS so klar hinter ihn stellten. Daran könnte er festhalten, bis es ihm ein Gericht anders sagt.

Wer könnte Sarrazin folgen?

Klare Antwort: Staatssekretär Hubert Schulte (SPD). Der ist eingearbeitet, kriegt gute Kritiken. Und mit einer Nachbesetzung aus dem eigenen Haus hat der Senat gute Erfahrungen gemacht: Auf Peter Strieder folgte seine Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer, die bisher einen guten Job macht.

Wie rechtfertigt die Koalition, dass ein Regierungsmitglied unter Anklage im Amt bleibt, was bundesweit fast beispiellos ist?

Damit, dass der Vorwurf genauso beispiellos sei. Politische Entscheidungen juristisch zu bewerten, ist nach Sicht von SPD und PDS völlig neu. Tatsächlich waren jüngste Rücktritte wesentlich eindeutiger. Bei allen drei CDU-Ministern etwa, die seit 2000 in Brandenburg abtraten, spielten private finanzielle Verstrickungen mit. Bei den Rücktritten in Baden-Württemberg in diesem Sommer räumte Wirtschaftsminister Döring im Zusammenhang mit einer Spende eine Teilschuld ein. Justizmininisterin Werwigk-Hertneck (beide FDP) hingegen bezeichnete Vorwürfe gegen sie als „aus der Luft gegriffen“, ging aber trotzdem, um „Schaden von der Justiz des Landes abzuwenden“.

Rot-Rot ist nach Bankskandal und Filz mit hohen moralischen Ansprüchen angetreten. Muss Sarrazin nicht allein deshalb gehen, weil nach diesen Maßstäben ein SPD-Mann nicht unter Anklage stehen dürfte?

Die Gretchenfrage. Sarrazin sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen. Auch politische Gegner gestehen ihm zumindest eins zu: persönlich lauter zu sein. Die moralische Messlatte ist daher kaum anzulegen.

Welche Rolle spielt Sarrazin im Untersuchungsausschuss zum Tempodrom?

Derzeit kaum eine. Die Diskussionen drehen sich vorwiegend um Dinge vor seiner Zeit. Die Vertreter von SPD und CDU mühen sich, jeweils die Schuld der anderen Seite am Tempodrom-Desaster herauszuarbeiten.

Was ist mit den anderen Beschuldigten beim Tempodrom?

Dort laufen die Ermittlungen weiter, ein Ende sah die Staatsanwaltschaft gestern nicht. Betroffen sind die Tempodrom-Gründer Moessinger und Waehl, der frühere Bauunternehmer Specker, die Ex-Staatssekretäre Holzinger und Liepelt (beide CDU) und zwei Gutachter der Wirtschaftsprüferfirma PWC.

Was passiert eigentlich mit dem Ort, um den sich alles dreht, dem Tempodrom?

Der Betrieb werde „open end“ weiter geführt, sagte jüngst ein Sprecher des Insolvenzverwalters Peter Leonhard. Das Tempodrom hatte im April Konkurs angemeldet. Für die nächsten Wochen sind unter anderem Marianne Rosenberg und die Nacht der Kampfkünste angesagt. Und für April 2005 stehen schon die volksmusischen „Randfichten“ mit ihrem Ost-Gassenhauer „Holzmichl“ auf dem Programm.