: Schulbildung selbst gestrickt
Die Kritik der OECD am deutschen Bildungssystem lässt viele Eltern in Berlin kalt. Längst setzen sie an öffentlichen Schulen auf Eigeninitiative. Akademiker mit Geld schicken ihre Kinder auf Privatschulen
VON INES KURSCHAT UND FELIX LEE
Bildungsstudien rocken nicht mehr. Obwohl Deutschland bei der aktuellen Expertise der OECD im Vergleich zu anderen Industrieländern erneut schlecht abgeschnitten hat, ist nicht viel von einem Bildungs-Schock wie bei Pisa zu spüren. Ein Grund: Viele Eltern haben sich längst mit der Misere abgefunden und werden an öffentlichen Schulen selbst aktiv, weil sie dem System nicht mehr trauen. Ein anderer: Immer mehr schicken ihr Kind zur Privatschule.
„Pisa rüttelt nur die Politiker auf. Eltern wissen schon lange, wie es um die Bildung bestellt ist“, begründet Andreas Wegener, Geschäftsführer der Privaten Kant-Schule, die Gelassenheit vieler Eltern und erklärt sich damit auch den Zulauf von Schulen freier Träger. Trotz der monatlichen Gebühr von 250 bis 700 Euro müssen die Eltern eine Wartezeit von mindestens eineinhalb Jahren in Kauf nehmen. Eine Nachfrage, die sich auf fast alle Privatschulen übertragen lässt. Auch wenn 95 Prozent aller Berliner Schüler nach wie vor auf öffentliche Schulen gehen – zählte die Hauptstadt vor neun Jahren noch 14.100 PrivatschülerInnen, sind es heute über 17.600. Ein Zuwachs von rund 17 Prozent.
Im neuen Kinderstadtteil Prenzlauer Berg haben sich gar Eltern zusammengetan, um neue Privatschulen zu gründen – trotz Ankündigungen des Senats, die staatlichen Zuschüsse der freien Träger weiter zu senken.
Der Bedarf ist noch lange nicht gedeckt: Bis zu drei SchülerInnen würden sich bei ihnen auf einen Schulplatz bewerben, sagt Manfred Hermann, Leiter der evangelischen Schulstiftung, einer der größten freien Träger in Berlin. „Das hat gewiss mit Pisa zu tun.“ Zu seinen Klienten zählt Hermann vor allem Eltern, die Wert auf eine qualifizierte Ausbildung ihrer Kinder legen. Von einem Boom bei Privatschulen will er aber nicht sprechen. Die Nachfrage sei in den letzten Jahren zwar kontinuierlich, aber nur langsam gestiegen.
„Sicherlich ist seit Pisa viel zu wenig passiert“, kritisiert Sigrid Baumgardt, Sprecherin von der Erziehungsgewerkschaft GEW. Daraus aber einen Abwanderungstrend zu den Privatschulen zu schließen, sei übertrieben.
Ähnlich sieht es André Schindler vom Landeselternausschuss. Ihm ist aber aufgefallen, dass Eltern sich immer mehr engagieren und an öffentlichen Schulen Leistungen einfordern. Nachdem der rot-rote Senat zum Beispiel vergangenes Jahr die Lehrmittelfreiheit abgeschafft hatte, richteten Eltern einen Fonds ein, der armen Familien beim Schulbuch-Kauf hilft. Nur an einigen Schulen Kreuzbergs oder des Weddings, wo das Bildungsniveau „hoffnungslos in den Keller gerutscht“ sei, käme es zur „Abstimmung mit Füßen“. Das heißt: Die Eltern ziehen mit ihren Kindern weg. Aber auch bei denen gebe es keinen Trend zu Privatschulen.
Jürgen von Buer, Bildungsforscher an der Humboldt-Universität, warnt genau vor dieser Entwicklung. Er befürchtet eine „verschärfte soziale Segregation“, wenn vermehrt unzufriedene Eltern ihre Kinder von schlecht ausgestatteten Schulen oder solchen mit einem hohen Ausländeranteil nehmen. Den Fortbestand öffentlicher Schulen sieht er aber nicht gefährdet. Von Buer glaubt, dass nur reiche Akademiker-Eltern Privatschulen in Betracht ziehen können. Deren Anteil an der Gesamtbevölkerung sei aber gering. Und – wie Pisa lehrt – könnte dieser Kreis künftig noch mehr schrumpfen.