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Archiv-Artikel

Eine eingleisige Debatte

Zu spät? Zu teuer? Zu unfreundliches, ungebildetes Personal? Schon gut. Das Gezetere und Gejammere macht einmal mehr allzu deutlich: Das Schlimmste an der Bahn sind ihre Kunden

VON JAN FEDDERSEN

Hartmut Mehdorn ist unter seinesgleichen, unter Managern und Konzernlenkern, nicht bekannt für besonderes Feingefühl in Sachen Marketing. Immer wenn sein Unternehmen mal wieder Imagegewinne verbuchen könnte, läuft mit dem Produkt etwas schief – sei es bei der „Bahncard 25“ oder der Einführung neuer Fahrleitsysteme, die zu Verspätungen von Zügen führten. Und wenn Unbill dieser Art nicht Anlass zum Ärger gibt, ist es etwas anderes, was das Transportunternehmen in Verruf bringt. Diesmal aber zu Unrecht, denn es geht um die der gestiegenen Energiepreise wegen angekündigten Erhöhungen der Fahrpreise.

Preiserhöhung? Na und?

Tatsächlich läuft bei der größten Verkehrsfirma der Republik alles prächtig. Weshalb sollte sich die Bahn nicht marktwirtschaftlich verhalten? Warum soll sie die Kosten, die auflaufen, ehe eine Lok überhaupt in Bewegung kommt, nicht auf die Kunden abwälzen? Das machen alle Unternehmen. Das Missverständnis ist nur: Der Bahn wird etwas übel genommen, was ihr nicht anzukreiden ist. Wie aber erklärt sich der Unmut über die Tariferwägungen der Bahn? Wie lässt sich begreifen, dass Bahnpassagiere das Zugpersonal wie Leibeigene behandelt, es mobbt („Ihr Englisch klang dümmlich“), es anmeckert („Wer ist Ihr Vorgesetzter?“), behelligt („Wenn ich keinen Gutschein wegen der Verspätung bekomme, hören Sie von meinem Anwalt!“), bedroht („Wünschen Sie sich bloß nicht, dass wir uns auf der Straße begegnen!“)? Wie, dass dieselben nicht die gleiche böse Leidenschaft hegen, würden sie in einem Stau stecken? Weil da keiner am Straßenrand wartet, um angekläfft und verblökt zu werden?

Irrtum: Die Bahn kämpft immer noch mit dem Ruf, mit der untergründigen Erwartung, der Sozialstaat unter den Transportweisen zu sein. Wer Auto fährt, hat an allen Kosten selbst Schuld, das sieht jeder unmittelbar ein; wer aber die Bahn als Verkehrsmittel wählt, darf sich beklagen, als ob der Glanz des Sozialstaates an ihr hängt. Man fordert und zetert, wenn er verblasst, wenn er sich nicht mehr rechnet.

Das beste Transportmittel

Und die Rechnung stimmt ja schon lange nicht mehr. Denn Bahnfahren ist, selbst ohne Bahncard und Weekendticket, billiger, als es ein Automobil je sein könnte. Die Fahrkarten dürfen selbstverständlich nicht mit den Benzinpreisen in Konkurrenz gesetzt werden – sondern nur mit den Sprittarifen plus Anschaffung des Gefährts selbst.

Und bei dieser Kalkulation wird das Bahnfahren immer günstig abschneiden. Aber was viel wichtiger ist: Bahnfahren ist schön – denn man muss sich auf langen Strecken auf keinen Straßenverkehr konzentrieren, muss sich nicht mühen, unversehrt durch Auffahrunfälle oder geplatzte Reifen oder Staus am Ziel anzukommen. Man setzt sich hin und kommt (allermeist fahrplangemäß) an. Man kann lesen, sinnieren, aus dem Fenster gucken, klönen, Musik hören – und man hat außerdem, wenn man so will, sogar ein rollendes Büro.

Schneller ist es ohnehin, zumeist auch auf innerdeutschen Fernstrecken. Wer vom Dezember an noch, zum Fahrplanwechsel, zwischen Hamburg und Berlin das Auto nimmt, hat jedenfalls selbst Schuld, wollte er oder sie die Distanz zeitoptimal überbrücken: Das Auto, das es zügiger als in einer Stunde vierzig schafft, gehört sowieso aus dem Verkehr gezogen: Bei korrekter Beachtung der Geschwindigkeitsgrenzen hängt die Bahn das Auto auf dieser Strecke um eine glatte Stunde ab: samt mitrollendem Restaurant in Fußnähe!

Selbstverständlich gibt es Menschen, die das Auto schon deshalb bevorzugen, weil sie in ihm ihr Prinzip von Individualität und Mobilität verwirklicht sehen. Sollen sie. Aber die allgemeine Klage über die Fahrpreiserhöhungen der Bahn ist kleinkariert und ungefähr von der gleichen Beleidigtheit wie die über die Nicht-mehr-Bezahlbarkeit des Sozialstaates.

Wer es billiger haben will, im Sinne der Bahn gesprochen, möge zu Fuß gehen. Oder zu Hause bleiben. Bahnfahren ist schneller geworden, viel schneller – und komfortabler, auch in der Zweiten Klasse.

Was, so gesehen, an der Bahn am meisten nervt, sind viele ihrer Kunden (also Produktkäufer). Was werden sie nur machen, wenn eines Tages weitere ICE-Strecken fertig sein werden? Was, wenn auch noch der letzte Schaffner Oxford-Englisch spricht und außerdem mit einer Höflichkeit durch die Waggons schwebt wie jenes Personal, das man nur von Flugzeugen kennt – und selbst dort nur aus der Business Class? Was, wenn demnächst die Verspätungsquote so niedrig liegen wird wie in Japan?