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Archiv-Artikel

„Ich bin ein Cheerleader“

Und täglich grüßt die Morgenlatte: Der Starfotograf Terry Richardson ist mit „Too Much“ in den Kunst-Werken zu Gast. Ein Gespräch über Nackt-Skaten, Voyeurismus und die Tendenz zum Konservativen

Interview ULF LIPPITZ

taz: Herr Richardson, wann haben Sie Ihr erstes Nacktfoto geschossen?

Terry Richardson: Das war vor zwölf Jahren. Ich ging mit einem Pärchen nach Hause, sie hatten Sex, und ich fotografierte sie dabei. Die Energie war unglaublich – so ursprünglich. Seitdem spiele ich in meinen Bildern mit der Idee des Voyeurs und des Teilnehmers zugleich.

Ärgert es Sie, dass Sie auf Sex festgenagelt werden?

Überhaupt nicht. Da passieren doch coole Sachen. Wir hatten kürzlich ein Projekt, bei dem sich Mädchen und Jungs in der Öffentlichkeit entblößen sollten. Das Mädchen stand in einer Menge von 500 Leuten und zeigte seinen Busen, der Junge zog sich die Hose mitten auf der Straße herunter. Das sind wunderschöne Erfahrungen.

Sind Sie seit der Kindheit an Nacktheit gewöhnt?

Ja, ich lebe in Hollywood. Dort wird man früh vielen Einflüssen ausgesetzt. In meiner Teenagerzeit hatte ich alle denkbaren Varianten von Gruppensex. Es war völlig normal für uns, so sexuelle Erfahrungen zu sammeln.

Skaten Sie noch nackt in Ihrem Studio?

Ja, eine großartige Sache, oder? Ich werde wahrscheinlich als Sechzigjähriger in irgendeinem Nudistencamp enden. Es wird interessanter mit dem Alter, Nacktbilder von sich zu sehen und zu machen. Das ist eine Dokumentation des eigenen Lebens. Ich habe damit aber erst vor sechs Jahren begonnen.

Was war der Auslöser?

Es wurde schwierig, Menschen zu finden, die vor der Kamera nackt sein wollten. Mir wurde klar, dass man bereit sein sollte, dasselbe zu tun, worum man eine andere Person bittet.

Wie war das Gefühl, als Sie das erste Mal nackt posierten?

Ein fantastischer Adrenalinstoß. Jetzt habe ich Sex vor lauter Leuten, mache dabei Fotos, und es ist ein riesiger Spaß. Ich kann keinen Sex haben, wenn nicht wenigstens drei Leute zusehen.

Wie bitte?

Nein, drucken Sie das nicht! Das war ein Scherz! Es ist nur so, dass es einen ungeheuer aufputscht, Sex vor der Kamera zu haben.

Müssen Sie Models überreden, die Kleidung abzulegen?

Nein, inzwischen wissen die meisten, was für Fotos ich mache. Wer zu mir kommt, weiß, worauf er sich einlässt.

Teilen Ihre Models eine bestimmte Eigenschaft?

Ich kann nur sagen, dass ich sofort merke, ob jemand passt oder nicht – in dem Moment, in dem sie oder er beim Casting durch die Tür kommt. Ich reagiere auf Emotionen und Energie. Das kann selbst beim schüchternsten Mädchen geschehen. Für die Sisley-Kampagne suchte ich zum Beispiel eines, das wir draußen fotografieren wollten. Einhundertfünfzig Models sah ich mir an – und dann kommt auf einmal so ein Kleinstadtmädel aus Nebraska rein. Sie hatte vorher nie nackt für jemanden posiert, fühlte sich unwohl, wenn sie ihre Mitbewohner nackt sah, und dann stand sie, wie Gott sie schuf, vor fünfhundert Touristen in Paris.

Sie haben sie sexuell befreit.

Ich nehme an. Sie kam nach dem Shooting zu mir und bedankte sich. Sie sagte: Ich habe noch in meinem Leben so etwas gefühlt.

Setzen Sie Ihre eigenen oder die Fantasien der Models um?

Die Fotos sind eine Zusammenarbeit von Fotograf und Model. Sie müssen sich genauso wohl fühlen mit den Umständen wie ich. Ich bin nur ein guter Cheerleader, der mit der Kamera herumspringt. Der Zufall spielt dabei die größte Rolle.

Das zentrale Bild in der Ausstellung zeigt Sie nackt mit einem Mädchen am Strand umherrennend. Ein zufällig geschossenes Bild?

Ja. Ich bat das Mädchen, sein Unterhöschen auszuziehen. Sie wollte nicht. Da fragte ich sie, ob sie etwas dagegen hat, wenn ich mich ausziehe. Das fand sie okay. Wir rannten ein bisschen am Strand herum, lachten und machten dann die Bilder.

Gibt es manchmal Ärger mit Passanten?

Gelegentlich muss man aufpassen. Es ist schon vorgekommen, dass Menschen auf die weiblichen Models zukamen und grabschen wollten. Aber die meisten kapieren, was wir machen. Wenn ich im Studio arbeite, schließe ich gewöhnlich die Tür ab. Nicht mal der Klient nebenan soll sehen, was wir gerade machen. Mir gefällt diese Art von Geheimniskrämerei – das ist so wie früher, als man Sex hatte und die Eltern nebenan Abendbrot aßen.

Wie finden Sie die Vorwürfe, Ihre Bilder seien anstößig?

Es ist großartig, Menschen zu provozieren. Wenn sie den Humor nicht verstehen – bitte. Mir gefällt es, mit Sexualität zu spielen.

Sie sagten, es ist heute schwieriger, solche Bilder auszustellen. Warum?

Die Zeiten sind sehr konservativ geworden. Die Verlage sorgen sich heutzutage mehr darum, in die Auslagen der großen Buchketten zu gelangen. Galerien sind vorsichtiger geworden. Sie sehen sich meine Fotos an und haben Angst, dass man ihnen die Galerie schließt. Da fragt man sich schon, ob es darum geht, Vertrauen in den Künstler und sein Werk zu haben oder nur an das Geld zu denken.

Ihre Kunst ist auch ans Geld gebunden, oder?

Ja, Kunst und Kommerz fließen oft ineinander. Meine Ausstellung ist das perfekte Beispiel. Es handelt sich um Fotos, die ich für eine Marke wie Sisley gemacht habe und die nun in einer Galerie für zeitgenössische Kunst gezeigt werden. Das ist ein Trip. Ich verstehe es zwar nicht ganz, aber es fühlt sich cool an.

Was würden Sie nicht fotografieren?

Sex mit Minderjährigen.

Wird Sie jemals das Interesse an Sex verlassen?

Es gibt doch jetzt Viagra. Ich werde noch als Hundertjähriger Sex haben. Das habe ich von meinem Vater. Er wacht jeden Morgen mit einer Latte auf.