: Taliban plus Öl
Das Regime in Saudi-Arabien wird auch von deutschen Außenpolitikern verharmlost. Dabei verdient die dortige Geschlechter-Diktatur dieselbe Antwort wie die Apartheid
Der Großteil der arabischen Welt ist ein weitestgehend demokratiefreier Raum, besonders Saudi-Arabien fällt als repressives System auf. Das Köpfen von Menschen gehört dort ebenso zum Alltag wie der Anblick von Sittenwächtern, die Menschen auspeitschen oder von Kleinkriminellen, denen eine Hand amputiert wurde. Am meisten aber leiden Mädchen und Frauen. Sie werden bei ihrer Geburt zu lebenslanger Gefangenschaft verurteilt: Erst eingesperrt in den vier Wänden des Vaters, später im Haus des Ehemanns, bewacht von Brüdern und Cousins. In Saudi-Arabien herrscht eine Geschlechter-Diktatur, nicht besser als der praktizierte Wahnsinn afghanischer Taliban.
Nach dem 11. September 2001 wuchs zum Glück im Westen die Zahl jener, die von ihren Regierungen das Bestehen auf Demokratie und Reformen in Riad forderten. Zu offensichtlich war der Öffentlichkeit das saudische System in den islamistischen Terror verstrickt.
Zugleich sind aber die Regierungen von Berlin bis Washington darum bemüht, nicht allzu hart mit den saudischen Machthabern ins Gericht zu gehen. Saudisches Öl schmiert seit Jahrzehnten das Räderwerk zwischen den Mächtigen, das wissen wir nicht erst seit Michael Moores „Fahrenheit 9/11“. Zudem sind die saudischen Machthaber – noch – einigermaßen stabile und dringend benötigte Verbündete in der Region. So überrascht es nicht, dass westliche Regierungen nach den lauten Reformforderungen der letzten Jahre sich nun mit Pseudoreförmchen in Riad protest- und kommentarlos abspeisen lassen: Saudi-Arabien hält im Herbst unter dem „Druck“ des Westens erste Kommunalwahlen ab, bei denen sage und schreibe 178 Gemeinderäte gewählt werden sollen – natürlich ausschließlich von Männern. Die überwiegende Mehrheit der Ortspolitiker bleibt von der Gnade des korrupten Herrscherhauses abhängig und wird von ihm ernannt.
Berlin reagiert darauf mit Schweigen. Außenminister Joschka Fischer schweigt, genauso wie seine grüne Parteikollegin und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth. Wie kann das sein? Als im Apartheids-Südafrika Schwarze von demokratischen Rechten ausgeschlossen waren, probte die Welt zu Recht den Aufstand, verhängte Sanktionen und boykottierte das Kap so lange, bis das Burenregime auf die Knie gezwungen war. Schwarze durfte man nicht straflos erniedrigen. Frauen scheinbar schon. Niemand rügt die Apartheidsherrscher in Riad, niemand fordert Sanktionen. Damit steht die jetzige Regierung in der schlechten Tradition ihrer Vorgänger – Menschenrechtsverletzungen sind in der speziellen Form der Frauenunterdrückung noch nie besonders ernst genommen worden. Oft vermittelten Außenpolitiker das Gefühl, sie betrachteten diese als eine Art pittoreske kulturelle Eigenart, die manche Länder eben haben. Manch einer wird sich auch gedacht haben, der Feminismus gehe ohnehin zu weit – der Papst und seine Freunde lassen grüßen.
Doch die jetzige Bundesregierung befindet sich in einer besonderen Pflicht. Gerade Fischer und Roth versprachen in der Opposition, den Schutz der Menschen- und Frauenrechte zur wichtigsten Prämisse deutscher Außenpolitik zu machen. Es ist nur legitim, dass man Politikerinnen und Politiker an ihren Taten misst.
Neulich setzte Joschka Fischer das Thema „Dialog mit dem Islam“ auf die Tagesordnung der jährlichen Botschafterkonferenz, was an sich begrüßenswert war. Aber den Agha Khan als einzigen Gesprächspartner einzuladen, dürfte lediglich die Leserschaft von Illustrierten wie Bunte und Gala begeistert haben. Welche neuen Einblicke zur aktuellen Entwicklung in der islamischen Welt konnte dieser zwar honorige, aber in seinem Schloss bei Paris nicht gerade im Herzen der arabischen Welt residierende Mann liefern? Und welches Signal hat Joschka Fischer damit an die arabischen Machthaber ausgesandt? Im Zweifel – keines. Richtig wäre gewesen, das Gespräch mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen aus arabischen Ländern zu suchen und ihnen dabei gegenüber den Machthabern zwischen Rabat und Riad den Rücken zu stärken.
Doch dies hätte Mut in der Außenpolitik erfordert, den dieser Außenminister offensichtlich nicht hat. Fischer glaubt, er betreibe Realpolitik, übersieht dabei aber, dass Realpolitik immer ein moralisches Fundament haben muss, damit es nicht zum nackten Opportunismus mutiert.
Überraschend ist auch das Schweigen der Millionen muslimischer Frauen im Westen. Man kann in der Kopftuchfrage denken, was man will – auf jeden Fall konnte man in der gerade von deutschen Musliminnen mit Verve geführten Debatte so etwas wie ein selbstbewusstes feministisch-islamisches Frauenbild erkennen. Gerade von diesen Frauen erhoffte man sich mehr Solidarität, wenn es um die Unterdrückung ihrer Geschlechtsgenossinnen in der islamischen Welt geht. Anderenfalls setzen sie sich dem Vorwurf der mangelnden Glaubwürdigkeit und der Instrumentalisierung durch islamische Männer aus, wenn sie in der christlichen Mehrheitsgesellschaft entschlossen den Instanzenweg für das Recht auf das Kopftuch durchfechten, andererseits aber eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber der verheerenden Situation der Frauen in der islamischen Welt zeigen.
Übrigens wird die deutsche Zivilgesellschaft – dies nur am Rande – Anfang Oktober wahrscheinlich eine gute Möglichkeit bekommen, sich gegen islamische Umtriebe positionieren zu können: In Berlin soll ein Treffen einer Art arabisch-islamistischer Volksfront stattfinden, deren Programm deutlich antisemitische und antiamerikanische Töne anschlägt. Innenminister Otto Schily prüft derzeit ein Verbot.
Es ist wirklich an der Zeit, die Missstände in der arabischen Welt beim Namen zu nennen. Die saudi-arabische Form des Islams, der Wahhabismus, ist nichts anderes als religiös ummäntelter Faschismus. Nicht nur die Dollar-Milliarden aus den Schatullen des Hauses Saud haben dem islamistischen Terror weltweit Flügel verliehen. Es war der Wahhabismus, der dieser Terrorbewegung über Jahre und Jahrzehnte die geistige Grundlage geliefert hat.
Die Unterdrückung der Frauen ist und bleibt integraler Bestandteil dieser Ideologie. Saudi-Arabien ist Herzland der arabisch-islamischen Welt. Zustände im Guten wie im Bösen strahlen auf den Rest dieser Welt ab. Dies gilt es im Umgang mit den Saudis immer zu beachten.
Deswegen darf die Bundesregierung nicht länger schweigen, auch die Europäische Union muss klar Stellung beziehen. Das unglaubliche Maß an westlicher Ignoranz gegenüber den Menschenrechtsverletzungen und der Unterdrückung der Frauen in Saudi-Arabien sind nicht länger hinnehmbar. Saudi-Arabien ist keineswegs „Taliban light“, sprich, nicht ganz so brutal. Es ist „Taliban plus Öl“. Das kann aber keine Entschuldigung für das deutsche Schweigen sein.