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Archiv-Artikel

Hartz verliert sein bestes Stück

Die Unionsfraktion lässt die Jobcenter-Reform platzen. Jetzt könnte ein Kernstück der Hartz-Reformen, die „Hilfen aus einer Hand“ für Arbeitslose, bald abgewickelt werden. Arbeitsvermittler verwirrt, Unions-Landesminister Laumann: „Katastrophe“

VON ULRIKE WINKELMANN

Ausgerechnet die Unionsfraktion im Bundestag könnte nun das Ziel der Linkspartei erfüllen: Hartz kommt weg – zumindest teilweise. Wenn die große Koalition die Jobcenter nicht bis zur Bundestagswahl noch reformiert, müssen diese in der kommenden Legislaturperiode womöglich aufgelöst werden.

Dann würden die im Jahr 2004 mühsam hergestellten Arbeitsgemeinschaften (ArGen) von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen wieder abgewickelt. Die Jobcenter, in denen das Hartz-Prinzip der „Hilfen aus einer Hand“ umgesetzt werden soll, würden wieder auseinandergerissen. Langzeitarbeitslose müssten dann wieder bei der Arbeitsagentur das ALG II, bei der Kommune das Wohngeld beantragen. Der gesamte zähe Streit, den Bund und Länder 2003 und 2004 über die Hartz-Finanzierung austrugen, würde noch einmal abgespult – nur rückwärts.

Angesichts der vorstellbaren Szenarien nennt der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die Entscheidung seiner Parteikollegen im Bundestag „eine arbeitsmarktpolitische Katastrophe“. Am Dienstagabend kippte die Unionsfraktion den von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit den Unions- wie SPD-Länderfürsten beschlossenen Kompromiss zur Jobcenterreform. Dieser hätte eine Grundgesetzänderung vorgesehen, mit der einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2007 entsprochen werden sollte. Das Karlsruher Gericht hatte die ArGen und Jobcenter für verfassungswidrig erklärt. Sie seien eine Mischverwaltung, die den Bürger im Unklaren lasse, welche politische Instanz zuständig – und gegebenenfalls bei Wahlen abzustrafen sei. Bis Ende 2010 müsse die Regierung handeln.

Die Unionsfraktion düpierte mit ihrem Votum gegen Scholz’ Entwurf nicht nur Kanzlerin Angela Merkel. Sie verwirrte auch die Arbeitsvermittler selbst ungemein. Zwar ist bekannt, dass die Union nach der Bundestagswahl gerne zusammen mit der FDP den lang gehegten Wunsch umsetzen möchte, die Arbeitslosenbetreuung von der Bundesagentur wegzuziehen und stärker oder ganz in die Hände der Kommunen zu legen.

Aber „eine Kommunalisierung ist ja ohne Verfassungsänderung auch nicht drin“, sagte der Chef der ArGe Nürnberg, Claus-Dieter Rückel, zur taz. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat wird Schwarz-Gelb aber kaum bekommen. „Die Strategie, die die Union hat, erkennt hier noch keiner.“ Die Mitarbeiter seiner ArGe „erkennen dagegen den Widerspruch zwischen der von Angela Merkel behaupteten Wertschätzung ihrer Arbeit und dem, was wirklich ist, sehr wohl“, sagte Rückel. Er gehe davon aus, dass es in seinem Haus angesichts des drohenden Chaos zu Kündigungen kommen werde. Darüber, dass die Unsicherheit über die Zukunft der 346 ArGen deren 56.000 Mitarbeiter verunsichert und die fähigsten von ihnen vertreibt, klagen auch viele andere Kommunen.

Die grüne Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer erklärte am Donnerstag: Wenn die Strukturen nun abgewickelt würden, „ist vorprogrammiert, dass in einer Zeit steigender Arbeitslosigkeit die Arbeitsverwaltung mehr mit sich selbst als mit den Arbeitssuchenden beschäftigt sein wird“. Dies sei „ein fataler und teurer Schritt zurück in die arbeitsmarktpolitische Steinzeit“.