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Archiv-Artikel

Böse Merkel soll Schröder retten

Das Plädoyer der CDU-Chefin für Sozialreformen à la Herzog kommt den Koalitionswächtern gerade recht: als Drohszenario. Der Hinweis auf die grausamen Pläne der Union soll den rot-grünen Abweichlern die Zustimmung zur Agenda 2010 erleichtern

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Politik hat viel mit Psychologie zu tun. Machtpolitik erst recht. Keine neue Erkenntnis, aber eine, die sich die rot-grünen Führungsleute vor der Bundestagsabstimmung über die Hartz-Gesetze verstärkt zunutze machen. Wir wollen niemanden zur richtigen, also kanzlertreuen Stimmabgabe zwingen, so lautet die neue Botschaft, aber jeder, der an diesem Freitag mit Nein votieren will, soll wissen: Er bringt damit Angela Merkel und die CDU an die Regierung, die noch viel Grausameres im Schilde führen.

Es sei Merkel zu danken, sagte Vizekanzler Joschka Fischer gestern, „dass jetzt wieder Klarheit in die deutschen Wohnstuben gebracht wurde“. Mit dem Herzog-Konzept zum Umbau der Sozialsysteme, warnte der Obergrüne, habe sich die CDU „von einem Grundwert unseres Landes verabschiedet“ – obwohl noch offen ist, ob sich Merkel mit ihrem langfristigen Reformprojekt in der Union durchsetzen wird.

Für die Koalition reicht das Stichwort Kopfpauschalen, um die eigenen Sozialpolitiker einzuschüchtern, denen schon die Agenda 2010 viel zu weit geht. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, weist nur allzu gern auf die „sozialen Grausamkeiten“ der CDU-Konzepte hin. „Das hilft uns bei der Klärung der politischen Alternativen“, sagte Beck zur taz, „und damit auch bei der Mehrheitsfindung.“ Kurz vor den heutigen Sondersitzungen der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen zeitigt das Drohszenario erste Erfolge. „Die Stimmung scheint bei den Abweichlern gekippt zu sein“, stellte SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer fest. Merkel sei Dank. „Nach ihrer Rede wissen die Aufmüpfigen“, sagte Scheer der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass das „alles nur noch schlimmer unter einer konservativen Regierung“ würde.

Bei dem Bemühen, die Rebellen einzubinden, sind nicht die letzten Details der Arbeitsmarktreform entscheidend, sondern die Gefühle der hin- und hergerissenen Linken. Selbst von SPD-Zampano Franz Müntefering ist nichts mehr zu hören, was die Empfindsamkeiten kränken könnte. Stattdessen gab es sogar ein Zuckerl: Die Antragskommission für den SPD-Parteitag im November sprach sich gestern „im Grundsatz“ für eine Bürgerversicherung aus.

Mit Schmähungen und Rücktrittsdrohungen, das hat die Führung wohl begriffen, sind Kritiker wie Schreiner, Schmidbauer, Skarpelis-Sperk (SPD) oder Schulz, Ströbele und Hermann (Grüne) nicht kleinzukriegen. Nun kommt es darauf an, ob ihnen die letzten Korrekturen an den Hartz-Gesetzen genügen. Müntefering dementierte jedoch, dass eine ihrer Forderungen bereits erfüllt sei. „Da wird in diesen Stunden noch daran gerechnet“, sagte er zu Berichten, wonach Minijobs für Langzeitarbeitslose nur dann als zumutbar gälten, wenn der Stundenlohn „ortsüblichen Bedingungen“ entspreche. „Solange es keine schriftliche Diskussionsgrundlage gibt“, so Schreiner, könne er nicht sagen, ob er zustimmt. Wahrscheinlich wird die Koalitionsspitze den genauen Gesetzesinhalt bis kurz vor Schluss zurückhalten – und weiter vor dem Schreckgespenst Merkel warnen.