live on stage :
David Thomas ist eine Art lebende Legende. Er war Mitglied der Clevelander Proto-Punk-Band Rocket From The Tombs und danach Kopf der Avant-Pop-Band Pere Ubu. Seit einigen Jahren sind die Two Pale Boys seine Begleitband. Mit diesen bestritt er am vergangenen Donnerstag im Güterbahnhof Bremen sein einziges Konzert in Norddeutschland.
David Thomas ist ein Mensch mit einem gewaltigen Körperumfang, in den er während des Konzerts eine ordentliche Menge Bier und Remy Martin kippt und aus dem einige der schönsten und seltsamsten Sounds kommen, die im Rahmen eines Popsongs vorstellbar sind. Vom erderschütternden Captain Beefheart-Blues-Howl bis zu den Spitzen eines quengelnden Kindes reicht der gewaltige Stimmumfang.
Aber diese Stimme wird nicht ausgestellt, nicht die Virtuosität ist das faszinierende, sondern die Art, wie die Modulationen der Stimme sich mit Songs vermählen, die sehr eigenwillige Wege gehen. Allein die Klangpalette der Instrumentierung ist ungewöhnlich. Die zwei blassen Jungs sind Andy Diagram an der elektronisch prozessierten Trompete und Keith Moliné an der Gitarre. Diagram sorgt für eine Art dichten Ambient-Jazz mit gelegentlichen stakkatohaften Ausbrüchen, während Moliné rudimentäre Rhythmen zwischen impressionistischen Schraffuren und simplen Punk-Riffs spielt.
Thomas selbst greift gelegentlich zum Melodeon, aber nicht, ohne sich vorher eine knallrote Schlachterschürze umzubinden. Die Songs sind ausladend und verlaufen auf Serpentinen. Sie werden improvisatorisch zerdehnt und entfalten einen ganz eigenen, ruhigen Groove. Sie dienen aber auch als Sprungbrett für Geschichten, Anekdoten und Anmerkungen. Und so elaboriert seine Songs auch sein mögen: Spätestens wenn David Thomas erzählt, lassen sich seine Punk-Roots nicht mehr verbergen.
Den Song, für den er die besten Lyrics seines Lebens geschrieben habe – und der ihn deshalb unweigerlich an all seine Unzulänglichkeiten erinnert, wie er sagt –, werde er durch einen zum Mikro umfunktionierten Telefonhörer vortragen, „damit ihr keine Chance habt herauszufinden, worum es geht“, kündigte er an. Wäre er Sting, würde er dagegen – Wechsel zum richtigen Mikro und zur glasklaren Aussprache – „jedes verdammte Wort betonen.“ Nach einer kurzen Pause fügt er dann aber hinzu: „Ich weiß auch nicht, warum ich mich über Sting hermache.“ Nun, das ist der Punk in ihm. Und Sting ist immer noch das Gegenteil von allem, was David Thomas macht.
Dieter Wiene