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Archiv-Artikel

Mit Volldampf in die Zukunft

Ein anderes Brandenburg ist möglich – wenn man die Hoffnung auf Wunder zu den Akten legt und bereit ist zu experimentieren

Ein anderes Brandenburg setzte eine neue politische Kultur voraus

VON UWE RADA

„Der Osten als Avantgarde“ – bei diesem Titel eines Buches von Wolfgang Engler ergreift Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck nicht die Flucht. Im Gegenteil. Er macht sich die Programmatik zu Eigen. „Ein großes Wort vielleicht, aber es weist in die richtige Richtung“, sagt Platzeck. „Es bedeutet aus der Nähe betrachtet zugleich eine Selbstverpflichtung: Avantgarde kann eben nur sein, wer die eigenen Angelegenheiten so gut und erfolgreich regelt, dass darin Vorbild und Ansporn für andere liegen.“

Der Matthias Platzeck, der sich mit diesen Worten in Tobias Dürrs und Tanja Busses Buch „Das neue Deutschland. Die Zukunft als Chance“ zu Wort gemeldet hat, ist ein anderer als der Landesvater, der bis heute durch den brandenburgischen Wahlkampf tourte. Es ist ein Nachdenklicher, ein Experimentierfreudiger, einer, der Lust zeigt an Veränderung. Als Landesvater und Ministerpräsident ist Matthias Platzeck dagegen „Einer von uns“, die Verkörperung der „kleinen DDR“ – auch in der Nach-Stolpe-Ära.

Wenn am Sonntag ein neuer Landtag gewählt wird, deutet alles darauf hin, dass die große Koalition unter Führung von Platzeck im Amt bleibt. Wird also die „kleine DDR“, dieses System aus väterlicher Fürsorge und Angst vor Experimenten, um eine weitere Legislaturperiode verlängert? Wird der Landesvater in Matthias Platzeck erneut über seine „Selbstverpflichtung“ als Reformer Oberhand behalten?

So paradox es klingen mag: Gerade eine große Koalition, ergänzt um eine kreative und diskussionsfreudige grüne Opposition, könnte das Land auch nach vorne bringen, statt es wie bislang mehr recht als schlecht zu verwalten. Ein Bündnis der Erneuerer könnte einen Paradigmenwechsel wagen und zeigen, dass es auch ein anderes Brandenburg gibt: ein Labor Ostdeutschlands, eine tatsächliche Avantgarde im Umgang mit den Herausforderungen einer zunehmend ungleichen Entwicklung zwischen Ost und West, Nord und Süd.

Was wäre das für ein Brandenburg? Ein Blick auf das diesjährige Kulturland Brandenburg hilft. Landschaft und Gärten, lautete das Motto. Doch wer altbackenes aus Sanssouci dahinter vermutete, lag falsch. Unter der Regie von Kulturland-Chefin Brigitte Faber-Schmidt und der CDU-Kulturministerin Johanna Wanka wandte sich das Kulturland auch den abseitigen Themen zu: Schrumpfung der Städte, temporäre Nutzungen, mithin ungewollte Landschaften statt blühende. Es ist eine Suche, die sich hier zeigt, und Brandenburg ist eines ihrer Zentren.

In der Politik sind diese neuen Denklandschaften noch nicht angekommen. Hier orientiert sich auch der Landesvater Platzeck noch immer an der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, obwohl er es längst besser weiß. Warum aber stellen die kreativen Köpfe in Potsdam die Debatte nicht vom Kopf auf die Füße? Warum sagen sie nicht: Horst Köhler hat Recht, nur dass man sich nicht nur um die Leuchttürme kümmern müsse, sondern auch um die Regionen, die im Schatten bleiben? Warum erkennen sie nicht, dass zwischen „abgehängt“ und „abgeschrieben“ noch Chancen liegen für einen anderen Umgang mit Peripherien als den einer letztlich erfolglosen Subventionierung?

Brandenburg ist neben den anderen ostdeutschen Bundesländern das Land der schrumpfenden Städte und Regionen. Auch das ist eine Ressource für eine neue Politik. Warum nicht tatsächlich aus manchen Regionen den Rückzug wagen, die Menschen dabei aber nicht allein lassen, sondern sie mitnehmen? Warum nicht maßgeschneiderte Lösungen wie etwa beim Rufbus in der Uckermark suchen, auch wenn sie bedeuten, unangenehme Wahrheiten sagen zu müssen. Wer sollte dies besser tun können als eine große Koalition der Experimentierfreudigen?

Dafür bedürfte es jedoch eines grundlegenden Wandels in der politischen Kultur. Eine Politik im Verborgenen, die Brandenburg bis heute kennzeichnet, bedeutete Stillstand und weitere Resignation. Die Grünen haben deshalb Recht, wenn sie die Politik in Brandenburg (und nicht nur die Ausschusssitzungen) öffnen wollen. Ähnlich wie beim Stadtumbau müssen auch in der politischen Entscheidungsfindung neue Wege der Beteiligung gesucht werden. Nur so werden aus Adressaten wieder Akteure.

Eine Selbstverpflichtung zur Öffnung würde auch bedeuten, die Hoffnungen auf Wunder zu den Akten zu legen. Die Zeit der Hilfen von außen ist vorbei, es gibt nur noch eigene Lösungen, und ein anderes Brandenburg ist im besten Falle eine Summe dieser kleinen Lösungen.

Zur neuen politischen Kultur gehörte am Ende auch, einzuräumen, dass diese kleinen Beispiele die großen Unterschiede nicht verringern werden. Aus der Uckermark werden auch weiter Menschen in Richtung Westen abwandern. Aber es werden weiterhin auch Berliner in die Uckermark kommen. Und vielleicht kommen bald auch die Experten aus den schrumpfenden Regionen des Westens und fragen: Wie macht Ihr das eigentlich? Der Avantgardist Matthias Platzeck hätte dann allen Grund sich zu freuen.

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