: Natur ist schön und verkauft sich gut
In den neuen Bundesländern werden immer mehr Flächen als Naturschutzgebiete ausgewiesen. Die Besiedlung dort ist dünn, die Natur setzt sich mehr und mehr durch. Das kommt bei Touristen gut an. Sie suchen wilde Tiere und Ursprünglichkeit und werden fündig. Von Brandenburg bis an die Ostsee
VON CHRISTINE BERGER
„Vorsicht Kreuzottern“ steht auf dem Schild vor der Pritzhagener Mühle. Das kleine Lokal mitten im Wald ist dennoch ein gefragter Ort. Hier gibt es herrlich fangfrische Bachforellen zu Bratkartoffeln und Bier. Am liebsten wird auf der Wiese gegessen, gleich neben den Schildern, die vor Deutschlands einziger giftiger Schlangenart warnen. Wer die sieben Kilometer vom nahe gelegenen Buckow zur Mühle zu Fuß zurücklegt, hat mit wilden Tieren auch so schon seine Erfahrungen gemacht. Blindschleichen gibt es am Wegesrand zuhauf, und auch eine Ringelnatter lässt sich ab und zu blicken.
Kein Wunder, dass es Touristen auf der Suche nach Natur in die neuen Bundesländer treibt. Dort gibt es Landstriche, in denen die Besiedelung so dünn ist, dass die Natur zum Zug kommt. Leben etwa in Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt 530 Menschen auf einem Quadratkilometer, sind es in Brandenburg gerade mal 88 (Quelle: Statistisches Bundesamt). Da bleibt genug Platz für Flora und Fauna. Neben Wölfen, die längs der polnischen Grenze öfter gesichtet werden, Seeadlern, etwa im Nationalpark Unteres Odertal, schlägt auch die Pflanzenwelt seltene Blüten. So wachsen im Naturschutzgebiet Schlaubetal, rund 100 Kilometer östlich von Berlin, Orchideen.
Mancherorts werden seltene und deshalb geschützte Tiere, wie etwa der Biber, sogar zur Plage. So unterhöhlte unlängst eine fleißige Biberfamilie eine Brücke in der Brandenburger Region Prignitz, die daraufhin gesperrt werden musste. Und auch die unzähligen Krötenwanderungen über die Straßen bescheren den Landbewohnern jedes Jahr viel Arbeit, so sie kein Massaker anrichten wollen.
Für den Tourismus in den neuen Bundesländern hat sich der Naturschutz mittlerweile zu einer wichtigen Einnahmequelle entwickelt. Mancherorts werden Touristikverbände deshalb schon bei der Planung von neuen Naturschutzgebieten mit einbezogen. Besonders in Brandenburg hat man den Nutzen der Biotope für den Tourismus erkannt (siehe Interview). Dort wurden bereits über 30 Prozent des gesamten Bundeslandes unter Naturschutz gestellt. Die Landesanstalt für Großschutzgebiete im Bundesland Brandenburg (LAGS) etwa hat sich zum Ziel gesetzt, „die Notwendigkeiten des Natur- und Artenschutzes mit der Schaffung einer touristischen Infrastruktur zu verbinden“, so ihr Statut. Die LAGS selbst ist Mitglied im Landestourismusverband. So diskutieren Naturschützer und Touristiker am gemeinsamen Tisch, tüfteln naturverträgliche Rad- und Wanderwege aus und schaffen neue Arbeitsplätze für die Landbewohner, etwa als Natur- und Landschaftswächter.
Nicht immer gehen Tourismus und Naturschutz eine harmonische Beziehung ein. Besonders in den Nationalparks ist das Betreten weiträumiger Flächen verboten. Wer etwa mit dem Paddelboot die wunderschöne Landschaft des Müritz Nationalparks durchquert, wird am Ufer alle paar Meter daran erinnert, dass es auf keinen Fall erlaubt ist anzulanden, geschweige denn dort zu übernachten. Wo sich Buchten befinden, in denen beides möglich wäre, haben Ranger Holzstapel als Barrikaden errichtet. Fehlt nur noch der Stacheldraht. So quetschen sich im Hochsommer die Naturtouristen auf den seltenen, völlig überfüllten Campingplätzen des Nationalparks.
Nur die wenigsten Naturschutzgebiete unterliegen den strengen Richtlinien eines Nationalparks. Und in der Regel wird der Mensch in den Naturschutzgebieten nicht als Feind betrachtet. Vor allem dann nicht, wenn durch die Naturliebe der Besucher ein Mehrwert entsteht. So will etwa die Stiftung des berühmten Tierforschers Heinz Sielmann einen Truppenübungsplatz in der Döberitzer Heide nördlich von Potsdam erwerben und als Naturparadies umgestalten. Die Stiftung plant, auf einer rund zwanzig Quadratkilometer großen Fläche Wildpferde und Wisente anzusiedeln. Das Landesministerium Brandenburg hat bereits grünes Licht gegeben. Wenn das privatwirtschaftliche Naturengagement Schule macht, könnte es bald auch den ersten Milka-Wald oder ein Daimler-Moor geben.