: „Die Pressekonzentration wurde nur langsamer“
Medienexperte Schütz wirft dem Kartellamt vor, viele falsche Entscheidungen getroffen zu haben. Daher würde jetzt am Fusionsgesetz gesägt
taz: Herr Schütz, ab dem 29. September wird Sie Ihr Briefträger verfluchen. Wieso eigentlich?
Walter J. Schütz: Ich lasse mir für eine Woche alle Zeitungen, die in Deutschland erscheinen, ins Haus schicken. Da ich auch alle lokalen Unterausgaben erhalte, werden mir innerhalb einer Woche also 10.000 bis 12.000 Zeitungen in den Hausflur gekippt.
Und dann ordnen Sie die lokalen Ausgaben den Städten und Kreisen zu – Gegenden, in denen nur ein einziges Blatt erscheint, heißen nach Ihrer Definition Einzeitungskreise. Seit wann machen Sie diese Erhebung?
Die erste Stichtagsammlung habe ich 1954 gemacht. Damals waren 8,5 Prozent der Bevölkerung auf nur eine einzige Zeitung angewiesen. Heute sind es knapp 50 Prozent.
Woran lag’s?
Es hat immer wieder heftige Konzentrationsschübe gegeben, ein regelrechtes publizistisches Bauernlegen. Bis 1976, als die Pressefusionskontrolle eingeführt wurde.
… die verbietet, dass Zeitungen unbegrenzt aufgekauft werden können, und so Wettbewerb erhalten will. Doch diese Sonderregelung im Kartellrecht soll nun stark liberalisiert werden. Viele Experten befürchten als Folge einen neuen Konzentrationsschub.
Ich teile die Befürchtung. Er wird sich allerdings in Grenzen halten – weil gar nicht mehr viel zum Konzentrieren da ist. Denn trotz Fusionskontrolle ist die Entwicklung verlangsamt weitergegangen. Jetzt dürften vor allem die Großen der Branche noch größer werden.
Wirtschaftsminister Clement sagt, dass das Kartellgesetz Pressevielfalt behindert statt fördert.
Ich bin gespalten in dieser Frage. Grundsätzlich hat die Pressefusionskontrolle Gutes bewirkt. Was mich stört, sind viele Entscheidungen des Kartellamts, die ich in keiner Weise nachvollziehen kann. Die sind völlig marktfern und sachfremd – ein besserer Witz.
Wo zum Beispiel?
Als das Kartellamt den Kauf der Berliner Zeitung durch den Tagesspiegel verbot, argumentierte es mit der Marktaufteilung in Abozeitungen und Straßenverkaufstitel in Berlin. Das ist absurd. Das steht nirgendwo im Gesetz. Man unterscheidet bei Tabakwaren doch auch nicht nach Automaten-Zigaretten und Zigarren aus dem Fachgeschäft. Das Kartellamt hat hier marktferne und sachfremde Entscheidungen getroffen und uns die Diskussion über die Pressefusionskontrolle eigentlich erst eingebrockt.
Wie wird die deutsche Presselandschaft in zehn Jahren aussehen, wenn es zur Liberalisierung des Pressefusionsrechts kommt?
Ich glaube, sie wird sich nicht allzu sehr verändern. Der Wettbewerb der Zeitungen ist im Regionalen doch schon sehr weit reduziert. Und wo er noch stattfindet, gibt es längst feste Strukturen. Dort könnte es aber zur Zusammenlegung von Lokalteilen kommen, vor allem bei Verlagen, die mit zwei Titeln am selben Ort erscheinen – wie man es bei der Aachener Zeitung und den Aachener Nachrichten sehen konnte.
Die Auflagen vor allem der Regionalzeitungen gehen fast überall seit Jahren langsam, aber stetig zurück. Wirklich aufgewacht ist die Branche aber erst jetzt wegen der Werbekrise – reichlich spät, oder?
Da bin ich ebenfalls gespaltener Meinung. Nehmen Sie das äußere Erscheinungsbild: Beinahe alle Zeitungen sind heute zur Farbe übergegangen. Das ist sicherlich positiv. Gleichzeitig haben sie aber einen Weg zur Boulevardisierung beschritten, der meiner Ansicht nach ein Grund für den Leserschwund ist. Bei den klassischen Boulevardzeitungen hat dieser Trend ja schon viel früher eingesetzt. Das zeigt doch, dass Boulevardangebote beim Leser nicht mehr in dem Maße ankommen. Daher war es falsch, dass Abozeitungen den Weg der Boulevardisierung gegangen sind. Ebenso falsch ist es im Übrigen auch, dass viele Zeitungen sich zu stark am Fernsehen orientieren. Viel besser wäre es, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG