: Das ist mein Motiv!
Ob Leica oder Leihkamera: 350 FotografInnen jedweden Professionalitätsgrades bevölkerten beim Marathon „fotogehn_04“ die Stadt. Die Aufgabe: In 12 Stunden 24 Fotos zu 24 Themen ablichten
Neugierig öffnen sie die braunen Papiertüten und fühlen sich auf einmal wieder wie ein Kind mit Wundertüte. Die, die hastig und ungestüm den Inhalt rausreißen, verteilen erst einmal Konfetti auf den Tischen und in die Weser. Dann kommt der Inhalt zum Vorschein: Pflaster, Traubenzucker, Stadtplan und – das Wichtigste – ein 24er-Film.
Samstag, 11 Uhr, auf der Weser. Doreen, 25 Jahre, aus Hude, hat sich gerade Teilnehmernummer und Wundertüte abgeholt und steckt sich schon mal den Traubenzucker in den Mund. Neben ihr tummeln sich 349 andere Hobby- und Profifotografen auf dem Martini-Anleger. Die Altersspanne reicht von 18 bis 80 Jahren. Über den Schultern, um die Hälse baumeln Kamerataschen und Fotoapparate, die Stative gucken aus den Rucksäcken. Sie alle sind TeilnehmerInnen beim ersten Bremer Fotomarathon „fotogehn_04“. 24 Fotos zu 24 Themen in 12 Stunden ist die Aufgabe.
Um Punkt Zwölf tutet das Schiffshorn. Die Fotografen schwärmen aus. Einige haben Probleme mit ihrer Kamera. Im Notfallzentrum werden sie durch professionelle Hand behoben und Existenzen gerettet: Hoffnungslose Fälle bekommen eine Leihkamera. Doreen hat zum Glück keine technischen Probleme und will erst mal raus aus dem Gewusel. „Selbstbild“ ist die erste Aufgabe. Sie geht die Schlachte entlang, überall andere Fotografen, mit wachen Augen, aufmerksam in der Gegend nach Motiven suchend. Plötzlich: „Da, da hinten auf der anderen Weserseite, das ist es!“, ruft sie.
Zwanzig Minuten später ist das erste Foto im Kasten. Weiter. Zurückhaltend ist Doreen nicht. Beim Thema „Dreiecksverhältnis“ schleppt sie ein dreieckiges Baustellenschild durch die Gegend und arrangiert es mit einem anderen vor einer grünen Plane. Für „Kurzzeitige Schwerelosigkeit“ fragt sie prompt ein junges Pärchen, ob sie von den beiden ein Foto machen könne. Verliebt blinzeln die Zwei in die Kamera. „Unbändige Lust“: Doreen will in ein Café gehen und eine ältere Dame mit einem Stück Torte ablichten. Café gefunden, ältere Dame auch, Stachelbeertorte auf dem Teller, nur, fotografieren lassen will diese sich nicht. Sie sei gerade beim Frisör gewesen und der hätte ihre Haare verschnitten, jetzt fühle sie sich unwohl.
„Schade“, seufzt Doreen, „das wäre so ein schönes Motiv gewesen!“ Doch da hilft kein Jammern, unerbittlich rast die Zeit. Um 14.15 Uhr soll die Oceana, das schwimmende Kommando-Zentrum, zur zweiten Marathonstation ablegen.
45 Minuten später auf dem Schiff, viele Fotografen nehmen ihre Fahrräder mit. Auf geht es Richtung Space Park, die Sonne strahlt vom Himmel, ein erfrischender Wind weht.
Um 15 Uhr gibt es beim Anleger am Pier 2 einen Stempel und Mineralwasser. Sieben neue Themen warten. Die „Kulinarische Offensive“ finden einige beim Eiswagen vor dem Space Park, Pistazieneis inspiriert andere zum Thema „Schön grün“. Nach zwei Stunden fährt das Schiff zurück ins Zentrum. Sichtlich erschöpfte Gesichter. Doch die zweite Hälfte des Marathons steht noch bevor.
Um 21 Uhr werden die letzten vier Aufgaben verteilt, fast alle TeilnehmerInnen haben den toten Punkt gut überwunden und gehen eifrig in den Endspurt. Bei „Ballsäle und Kronleuchter“ treffen sich etliche Fotografen am Marktplatz wieder. Einige Bremer Nachtschwärmer sprechen die Marathon-Leute neugierig an – und bieten sich gern als Fotomodelle an. Doreen will aber nicht, auch das Argument „die da vorne hat mich auch schon fotografiert“ überzeugt sie nicht. Sie kämpft mit Thema Nummer 22: „Zollfrei“ („Was haben die sich bloß dabei gedacht?“) Außerdem hat sie eine Blase am Fuß.
Endlich, das letzte Foto um 23 Uhr. Schnell zur Oceana und Film abgeben. Wie fühlst du dich? „Mir tun die Knie weh, aber ansonsten gut, sehr gut!“, sagt sie, strahlt und lässt sich in einen Sessel fallen. Auch andere Teilnehmer kommen müde reingeschlurft. „Erschöpft“ seien sie und „erledigt“, aber, und damit sind sich alle einig: „glücklich“. Und hoffen auf fotogehn_05.
ANNA POSTELS