: Die gemütliche Jagd
Die WDR-Dokumentation „Die Jagd“ stellt – und beantwortet – die Frage: „Wird der Kriegsverbrecher Karadžić wirklich gesucht?“ (22.30 Uhr, WDR)
VON RÜDIGER ROSSIG
Radovan Karadžić ist seit Mitte 1996 nicht mehr Präsident der bosnischen Serben. Trotzdem geistert der 59-jährige serbische Ultranationalist mit den wallenden grauen Haaren und den dichten schwarzen Augenbrauen nach wie vor oft durch die Medien – und das beileibe nicht nur in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien.
Meist steht der Name Karadžić in Kurzmeldungen über gescheiterte Versuche, den studierten Mediziner, der seit acht Jahren vom internationalen Jugoslawien-Tribunal der UN wegen Kriegsverbrechen gesucht wird, festzunehmen. Oder darüber, wo und wann und mit wem der Expsychiater, Expolitiker und heutige Schriftsteller – neben Gedichten schreibt Karadžić auch Kinderbücher – mal wieder einen seiner unbehelligten öffentlichen Auftritte hatte.
Radovan Karadžić ist präsent in Exjugoslawien. Mark Wiese, Autor der WDR-Produktion „Die Jagd“, war nur sechs Wochen in Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro unterwegs – und hat dabei eine Menge Leute getroffen, die genau wissen, wo sich der Expräsidenten der Republika Srpska, der unter anderem in Zusammenhang für den Befehl zum Mord an etwa 8.000 gefangenen bosnisch-muslimischen Soldaten in Srebrenica angeklagt ist, wann aufgehalten hat; Leute, die diese Informationen auch Vertretern der internationalen Gemeinschaft bekannt gemacht haben.
Tatsächlich ist es verwunderlich, dass dieselbe westliche Koalition, die Bin Laden gleich nach dem Krieg gegen die Taliban im afghanischen Hochgebirge fassen wollte, einen Karadžić mitten in Europa auch nach acht Jahren noch nicht verhaftet hat. Mark Wieses Dokumentation bestärkt die These, dass das kein Zufall ist. Im Gegenteil: „Die Jagd“ legt mehr als nahe, dass Karadžić’ fortgesetzte Straffreiheit Teil eines Deals ist, den die Nato-Staaten, deren Truppen 1996 den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendeten, mit dem damaligen „Serbenführer“ bei dessen „freiwilligem“ Rücktritt abgeschlossen hätten.
In „Die Jagd“ besteht Aleksandar Buha, Exaußenminister von Karadžić’ Serbischer Republik darauf, US-Unterhändler Richard „Dick“ Holbroke, der Architekt des Bosnien-Friedensvertrags von Dayton selbst, habe dem damaligen Präsidenten der bosnischen Serben im Juli 1996 zugesichert, mit dessen Rücktritt sei die Anklage des UN-Tribunals „passé“. Bosnische Journalisten und Geheimdienstler berichten von mehreren Fällen, in denen sie den internationalen Behörden genaue Informationen zum Aufenthalt Karadžić’ gegeben hätten – ohne Ergebnis.
Abgesehen von seiner hervorragenden Recherche gelingt es dem WDR-Autor auch, die tragikomischen Seiten des westlichen Engagements auf dem Balkan zu beleuchten – etwa, wenn schwer bewaffnete deutsche Soldaten der Nato-Schutztruppe SFOR stolz berichten, sie würden „sofort Meldung machen“, wenn sie Radovan Karadžić begegneten. Die Frage im Untertitel der Dokumentation muss wohl verneint werden.
Abseits von einiger Skepsis gegenüber den Ankündigungen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, aber auch im Kosovo, in Afghanistan und anderswo – man kann sich nach Mark Wieses Dokumentation nur Marko Vesović anschließen: Der in Sarajevo lebende Schriftsteller, wie Karadžić gebürtiger Montenegriner und langjähriger Bekannter des Expräsidenten der bosnischen Serben, erwartet längst keine Gerechtigkeit mehr von der internationalen Gemeinschaft. Stattdessen hat er Karadžić öffentlich geschworen: „Wenn ich ihm mal irgendwo begegne, trete ich ihm in die Eier.“
Wiederholung am 22. September im WDR-Fernsehen um 10.15 Uhr