: Eine Farbe zu viel in einem bunten sächsischen Landtag
Der Einzug der rechtsextremen NPD und die Stimmenzuwächse der kleineren Parteien kosten der CDU die absolute Mehrheit in Sachsen
DRESDEN taz ■ Die Lawine vonWahlaufrufen in letzter Sekunde scheint ungehört verhallt zu sein. Die NPD schafft in der befürchteten Höhe den Einzug in den sächsischen Landtag. Wie sehr sich die politischen Verhältnisse in Sachsen verändert haben, illustriert die verhaltene Freude der SPD, zumindest vor der NPD geblieben zu sein. Vor allem junge Leute, Arbeiter und Arbeitslose haben die NPD überproportional gewählt.
Die Ergebnisse spiegeln den bereits bei den Europa- und Kommunalwahlen ablesbaren Trend zu den kleineren Parteien wider. Die wiederum nur schwache Wahlbeteiligung verschob die Relationen zusätzlich zu deren Gunsten. Am Wetter kann sie nicht gelegen haben, spätestens ab Mittag zogen Regenwolken auf. Um 18 Uhr erreichten sie dann auch den Fraktionsraum der CDU. Fünf Minuten zuvor hatte Finanzminister Horst Metz noch zu seiner Kollegin Helma Orosz vom Sozialministerium geflachst, er freue sich weiterhin auf gute Zusammenarbeit im Kabinett. Beim Erscheinen der ersten Hochrechnung aber verstummte der Saal wie bei einer Beerdigung. Die absolute Mehrheit ist dahin, die CDU wird sich daran gewöhnen müssen, die Macht mit einem Koalitionspartner zu teilen. Spannend dürfte auch werden, ob innerhalb der CDU die alten Flügel der ehemaligen Konkurrenten Biedenkopf und Milbradt wieder aufbrechen, nachdem Ministerpräsident Georg Milbradt als erneuter Mehrheitsbeschaffer versagt hat.
Die CDU hatte im Wahlkampf ganz auf den Nimbus gesetzt, den Sachsen auch im Westen genießt: Musterland im Osten, in einigen Wirtschaftszweigen besser als der Westen, bei der Pisa-Studie auf dem dritten Platz in Deutschland. Zum Wahlkampfabschluss am Freitag referierte Milbradt eine Stunde lang über Erfolge. Die Wähler empfanden ihre persönliche Situation offenbar anders. Neben den Themen Wirtschaft und Arbeit durfte die CDU auch mit ihren vermeintlichen Bildungserfolgen daneben gelegen haben. Bei den Eltern gilt das straff gegliederte sächsische Schulsystem als rückständig, und zehn Tage vor der Wahl hatten sogar CDU-Bürgermeister in Dresden gegen Schulschließungen demonstriert.
Jede Veränderung mit Ausnahme der NPD-Stimmen ist besser als eine Fortschreibung der absoluten CDU-Mehrheit. Auf diesen Minimalkonsens ließe sich der Wahlkampf aller anderen Parteien bringen. „Zeigt’s der schwarzen Macht!“ hatten die Grünen noch in der letzten Woche plakatiert. Das ist gelungen, und PDS-Spitzenkandidat Peter Porsch pries diesen Erfolg als Erster. Die PDS freute sich gestern trotz des schwachen Zugewinns vor allem darüber, dass die Stasi-Kampagne ihrem Spitzenkandidaten offensichtlich wenig geschadet hat. „Bis zur Samstagszeitung und bis zur letzten Sendeminute“ hätten die Medien versucht, ihn zu beschädigen, triumphierte Porsch.
Die SPD hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet und weinte deshalb nicht so laut. „Gemessen an der Ausgangslage können wir zufrieden sein“, meinte ihr Schlachtross Karl Nolle. Man habe sich im Wahlkampf trotz Hartz IV nicht versteckt. „Wir werden noch wahrgenommen“, das wertet eine SPD in Sachsen schon als Erfolg.
„Für uns geht ein lange Durststrecke zu Ende“, freute sich der FDP-Spitzenmann und Werbeagenturchef Holger Zastrow. Er wiederholte sein Koalitionsangebot an die CDU. „Es kann mit einer bürgerlichen Mehrheit weitergehen, wenn die CDU zu wirklichem Reformen bereit ist.“ Antje Hermenau von den Grünen kündigte an, auf jeden Fall in der Opposition bleiben zu wollen. Der Einzug der Grünen in den Landtag stand lange auf der Kippe. MICHAEL BARTSCH