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Archiv-Artikel

„Die schöne Zeit der CDU ist vorbei“

Die Wähler haben gemerkt, „wie zerfleddert die Politik der Union ist“, meint der Parteienforscher Franz Walter. Die Rechten wiederum profitieren von der Enttäuschung über die gemeinsame Reformphilosophie der etablierten Parteien

taz: Wahlen in zwei Ländern – und die klassische Frage danach: Lässt sich aus dem Ergebnis ein Bundestrend ablesen?

Franz Walter: Ja. Die schöne Zeit der CDU, in der sie problemlos alle Frustrierten einsammeln konnte, ist offenkundig vorbei.

Warum schafft die CDU das nicht mehr?

Für die Probleme der CDU gibt es zwei Gründe. Erstens bricht ihr gerade das Argument weg, das lange ihr stärkstes überhaupt gewesen ist: der Chaos-Vorwurf, also die Unterstellung, dass das linke Lager grundsätzlich Unordnung stiftet. Dieses Argument hat die Bürgerlichen vereint. Seit ungefähr einem Vierteljahr aber wird deutlich, wie zerfleddert die Politik der Union ist. Diejenigen, die Einwände gegen den Kurs von Angela Merkel haben, melden sich offen zu Wort, bis hinauf zur Ebene der Ministerpräsidenten. Gegenwärtig geht also das Chaos ausgerechnet von der Union aus, auch durch den Gegensatz von CDU und CSU.

Und der zweite Grund?

Die Rückkehr der sozialen Frage hat im Wesentlichen gar nicht so sehr der SPD geschadet. Die hat sich stabilisiert, wenn auch auf niedrigem Niveau. Aber in die Union hat die soziale Frage einen Keil getrieben, weil in letzter Zeit den gerade erst neu geworbenen Unterschichten deutlich geworden ist, dass das, was Merkel und Merz wollen, ja noch viel weiter geht als das Programm der SPD. Das hat den Blick für Uneinigkeit innerhalb der Union geschärft.

Geht diese Analyse nicht doch etwas weit angesichts des – absolut gesehen – sehr guten Ergebnisses in Sachsen?

Die CDU hat rund 14 Prozent verloren, und das in einer Hochburg. Solche Hochburgen braucht man, wenn es bundespolitisch reichen soll. Sonst kann eine Partei die Defizite in anderen Regionen nicht ausgleichen.

Lässt sich schon sagen, welche Themen wahlentscheidend gewesen sind – waren es eher landes- oder eher bundespolitische Fragen?

Ich glaube nicht, dass es landespolitische Themen waren. Im Wahlkampf haben die Hartz-Reformen dominiert und die Ängste, die die Bundespolitik ausgelöst hat. Es ging nicht um landespolitische Bilanzen.

In den Medien war viel die Rede von der Verärgerung Ostdeutscher über die etablierten politischen Kräfte der alten Bundesrepublik. Hatten darunter beide großen Parteien zu leiden?

Ja. Wenn es in beiden Ländern zu Großen Koalitionen käme, dann hätten die jeweils nur knapp über 50 Prozent der Sitze. Das zeigt, dass wir uns an etwas Neues gewöhnen müssen: dass nämlich die Großen so groß nicht mehr sind.

Wie lässt sich der Erfolg der NDP in Sachsen und der DVU in Brandenburg erklären?

Alle etablierten Parteien – von den Grünen bis hin zur Union – haben dieselbe Reformphilosophie. Eine solche Einmütigkeit hat es in der Geschichte des deutschen Parlaments noch nie gegeben. Bei allen diesen Parteien gibt es den apodiktischen Zukunftsimperativ: Alles, was als nicht zukunftstauglich gilt, wird nicht weiter beachtet. Deshalb gibt es ganze Schichten, vor allem die formal schlecht gebildeten, von denen die etablierten Parteien sagen: Sie bringen für die Zukunft einer Wissensgesellschaft nichts. Die Wahl von Rechtsparteien ist die Flagge derer, die nicht beachtet werden.

Lässt sich das analog auch für die Wähler der PDS sagen?

Nein. Die PDS ist eine Partei der ostdeutschen Mitte, deren Amts-und Mandatsträger größtenteils hoch gebildet und hoch qualifiziert sind. Sozial strukturell ähnelt sie den Grünen im Westen. Die PDS kanalisiert viel Unmut, und sie domestiziert ihn. Eigentlich ist sie eine Partei, die den Protest abmildert – und somit ein ganz wichtiger Seismograf für eine elastische Demokratie.

INTERVIEW: BETTINA GAUS