Eine Stadt sucht eine MörderIn

Nach Köln und Duisburg wurde auch Münster zur Tatort-Stadt. Für Jan Josef Liefers und Axel Prahl ist die Beamtenstadt eine prima Krimihochburg

Der Münsteraner, eine Mischung aus Möllemann und Alsmann?„Wir dichten dieser Region Morde an“, sagt Schauspieler Jan Josef Liefers

VON LUTZ DEBUS

Ein Sachse und ein Holsteiner in Münster, das ist wie Hering mit Schokoladensoße. Wie kam es dazu, dass ausgerechnet diese Schauspieler das westfälische Tatort-Team bilden? Jan Josef Liefers schnoddert, Zigarette im Mundwinkel, eine Antwort ins Aufnahmegerät: „Man hätte uns überall auf dieser Welt hinstellen können. Wir hätten unsere Fahne in den Boden gerammt, unseren Claim abgesteckt und unser Ding gemacht.“ Tatsächlich kannte Liefers Münster zuvor nur von Autokennzeichen. Axel Prahl raunt im Hintergrund, dass die Kölner Kommissar auch keine Kölner seien und Götz George alias Schimanski auch nicht wirklich aus Duisburg kam: „Ick wohne och in Balin. Anscheinend is dit so eene unjlaubliche Stadt, det die sich so een‘ Kulturexport leisten kann.“ Liefers berlinert ganz ordentlich, und zwar mit einem leicht sächsischen Einschlag. Wird er also für die Auftritte in der Westfalenmetropole nachsynchronisiert?

Warum nach den Ruhrgebietsstädten Essen und Duisburg und den Rheinrivalen Düsseldorf und Köln nun Münster zum Tatort wird, liegt wohl am Regionalproporz – auch kriminalistisch soll das Bundesland des WDR nicht am Bindestrich enden. Aber ist dies ein hinreichender Grund für eine neue Stadt für Morde am Sonntagabend? Edgar Wallace drehte ja auch nicht nur deshalb in London, weil Maigret schon in Paris ermittelte. Was also macht Münster kriminalistisch aus?

„Fahrraddiebstähle!“, gibt Prahl zu Protokoll. Münster erinnere ihn an seine holsteinische Heimat Neustadt. Da kennt auch einer den anderen. Liefers holt weiter aus: „Wir dichten dieser Region Morde an.“ In Münster wird in Wirklichkeit also überhaupt nicht gemordet? „Vielleicht wird hier auch gemordet. Aber nicht so intensiv wie in unserem Tatort. Hier gibt es zwar nicht das große organisierte Verbrechen, die Autojagd mit Kalaschnikow-Geballer durch verdunkelte Scheiben. Hier ist nicht Chicago, noch nicht mal Berlin.“ Natürlich räumt Prahl ein, dass dies auch in der Hauptstadt nicht auf der Tagesordnung steht, da aber würde es ein Publikum eher schlucken. In Münster gebe es eher die Hacke, die im Affekt in einen Schädel gehauen wird, das Gift, das jemand heimlich beimischt: „Es gibt Motive, die aus der Psychologie des Aufeinander-Hockens entstehen.“ – Regisseur Kaspar Heidelbach mischt sich ein. Münster sei schließlich sehr reich. Als er mal über den Prinzipalmarkt ging, haben ihn all die Geschäfte sehr beeindruckt.

Beide Schauspieler wissen ihre Figuren zu schätzen. Liefers mag den extravaganten Forensiker großbürgerlicher Herkunft. Das Fach Gerichtsmedizin fasziniert ihn. Da wünscht er sich mehr wissenschaftliche Raffinesse als den Standardsatz: „Der DNA-Test ist eindeutig!“. Und Prahl, der den wortkargen Kollegen aus Norddeutschland mimt, hätte gerne auf die typischen Attitüden verzichtet. „Wo waren Sie gestern zwischen 7 und 16 Uhr?“, „Kannten Sie den Toten?“ und „Hände hoch! Hier ist die Polizei!“ Aber ohne diese Sätze funktioniert kein Krimi, noch nicht einmal, wenn er in Münster spielt?

Hauptkommissar Thiel schweigt, hört zu, verfügt so über ein psychologisches Einfühlungsvermögen, das er bei seinen Fällen dringend benötigt. Ob dieser Tatort also der Derrickste von allen ist? Dem widerspricht die Chemie zwischen den beiden Helden. Keiner würde dem anderen den Wagen holen.

Bekommen die beiden Kriminalen überhaupt etwas mit von Münster oder lebt man abgeschirmt im Mikrokosmos des Sets? Liefers sagt es so: „Der Münsteraner, ist das nicht eine Mischung aus Jürgen Möllemann und Götz Alsmann?“

Dann aber geht es um seine Kindheit. Damals im DDR-Fernsehen sah er den DEFA-Film „Ursula“. Die dort dargestellten Wiedertäufer waren für ihn so etwas wie eine Geheimloge. Als er dann vor zwei Jahren die Käfige an der Lambertikirche hängen sah, war er schon beeindruckt. Gern würde er tiefer in die Stadtgeschichte eintauchen, das würde aber das Format des Tatortes sprengen.

In den Drehpausen sieht er den Alltag in Münster, Studenten, junges Volk. Aber auch ganz alt aussehende Studenten, Schlagende Verbindungen. „Gibt es in Münster nicht auch einen Bischof?“ Gibt es im Tatort Tabus? Ein Bischof als Mörder, wäre das denkbar, gar drehbar? „Ich schau da ja nur von draußen drauf. Mir erklärt ja auch keiner was. Aber bei einem öffentlich-rechtlichen Sender müssen viele Aspekte berücksichtigt werden.“ Liefers gibt die Rolle des Talkshow-Politikers. Und Kaspar Heidelbach ergänzt erklärend: „Die Diözese Köln ist die reichste der Welt. Wenn ich vom WDR runter schaue, die ganzen grünen Innenhöfe sehe, der Kirche gehört doch die halbe Innenstadt.“ „Und die andere Hälfte gehört dem WDR!“, sagt Liefers. Da wird Prahl sachlich: „Der Tatort ist Unterhaltung, das sollte man thematisch nicht überfrachten.“ Heidelbach gibt ihm Recht. „Ich habe einige Kölner Tatorte gedreht. Selbst da geht der Trend weg vom Sozialkritischen.“

Ist der Tatort also unpolitisch? Das dann auch nicht, meint Prahl. Dass sein Filmvati Kiffer sei und dies recht salopp in den Storys behandelt werde, könne doch schon eine Diskussion anregen, Haschisch irgendwann zu legalisieren. Auch der lockere Umgang mit dem Thema Behinderung, Alberich, die Gehilfin vom Rechtsmediziner, ist kleinwüchsig, diese wohltuend befreiende Komik, werde von den Betroffenen sehr geschätzt. Ob Prahl sich, ähnlich wie Götz George damals in den Achtzigern, mit revoltierenden Stahlarbeitern solidarisieren könne? „Hauptkommissar Thiel ist ein Mann des Volkes. Auf jeden Fall!“

Und der Bürger Prahl, ist der politisch? Vieles, so Prahl, laufe schräg mit Harz IV und ALG II, besonders die Verteilung von Arbeit und Geld. Aber in Münster gab es keine riesigen Montagsdemos. Dieses Thema wird im Tatort wohl nicht behandelt werden.

Liefers mag die Verquickung von Kunst und Tagespolitik gar nicht. Das kenne er noch aus seiner DDR-Vergangenheit. Als Student musste er am 1. Mai als Bestandteil eines lebenden Bildes aus irgend einem Goethe-Stück auf einem Wagen an der Tribüne von Erich Honecker vorbeifahren. Als Privatmann engagiere er sich für die SOS-Kinderdörfer, für Greenpeace. Trotzdem würde er als Professor Boerne nicht mit einer Atomkraft-Nein-Danke-Plakette durch den Tatort laufen. Es gab mal 12 Leichen in einem Tatort, selbst der Bild-Zeitung war das zu viel. Und wie viel Blut fließt in Münster? Liefers mag das Konzept des westfälischen Tatorts. Alle Leute sind etwas schrullig, Humor ist wichtig, die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren, das Kombinieren. Es erinnert ihn an gute englische Kriminalliteratur, an „Arsen und Spitzenhäubchen“. „Bei unserem Tatort gibt es einen Fall und zwei Leute, die ihn lösen. Das ist ein weltweit erprobtes Krimischema. Da tut man sich selbst keinen Gefallen, wenn man kiloweise Gedärme aus dem Fenster hängt.“

Die letzte, unvermeidliche Frage wurde natürlich auch noch gestellt. Wer ist im neuen Tatort der Mörder? Prahl sagt, dass es eine MörderIn ist, ausgestattet mit dem feministisch-tazzigen großen I. Liefers antwortet mit ernster Mine: „Wir wissen es noch nicht. Wir haben doch heute erst unseren letzten Drehtag“.