Alles Siegfried – oder was?

Das Schauspiel Hannover zeigt in Koproduktion mit dem Festival Theaterformen: Shakespeares „Macbeth“ nach Art des Krzysztof Warlikowski. Regietheater alter Schule

Partnerschaft heißt, tauschen zu können: Er macht Krieg, sie spendiert Sex

Es ist mal wieder Schotten-Schocker-Zeit. Kopf ab und ewiges Schlachten. Shakespeares „Macbeth“ führt sie vor, die in Katastrophen treibende Mechanik von Macht, Abhängigkeit und Angst. Da gibt es nichts zu verharmlosen durch Flucht in Distanz. Da will er mitten hinein, der Regisseur Krzysztof Warlikowski, und alles soll konkret verortet werden. Die Darsteller des Schauspiel Hannover treten in textilem 50er-Jahre-Design auf.

Am Anfang steht das Ende eines gerade geführten Krieges. Macbeth hat alles schon hinter sich: Traumatisiert vom massenmörderischen Treiben fühlt er sich als Täter und Opfer. Er hat den Dr. Jekyll und den Mr. Hyde in sich, den Krieg im menschlichen Naturell entdeckt: als bröseliges Fundament der Kultur. Denn: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. So dass Macbeth erst mal schwer irritiert in sein Drama hineinerwacht. Psychisch angeknackst, fast wehrlos, wenn es darum geht, sich erneut ins Prozesshafte der Unmenschlichkeit einzuklinken.

Nachvollziehbar also, dass Warlikowski den „Macbeth“ im Nachkriegsdeutschland verortet. Die demütigende Zerstörung als Warnung, so eben nicht weiterzumachen. Sich zu wehren und den Kreislauf der Gewalt-Eruptionen zu durchbrechen.

Die Szenerie ist nebulös verhüllt. An den Stahl-Glas-Wänden einer modernen Trutzburg der Macht flimmern Bilder aus Roberto Rosselinis „Deutschland im Jahre null“: Gebäudestummel, Trümmertristesse, freudlos Überlebende. Da ist auch Macbeth nicht nach Festivitäten. Obwohl der König zu Besuch kommt, versteckt sich der Gastgeber wie ein Hamlet-Epigone in grimmiger Vergrübeltheit. Er tanzt nicht die gesitteten Mambo-Drehungen oder Rock’n’Roll-Hüftschwünge, bleibt außen vor – oder tanzt Pogo mit anderen Kriegsheimkehrern.

Der Firnis der Zivilisation wird transparent. Zeit zur Verführung. Zeit der Erotik. Die in den Kriegsjahren der Männerabwesenheit zum Ehrgeiz-Biest verdorrte Lady Macbeth (Anne Ratte-Polle) steht nackt unter der Dusche, als sie dem Gatten den Plan einflüstert, sich zum Königs-Job emporzumorden. Er streichelt ihren Körper, will Nähe, Wärme, Zärtlichkeit, Sex. Sie leitet die Geilheit um, hetzt den Mann zur Mythenproduktion in eigener Sache auf: die alte Mär vom Lebenskampf, von Leistungs- und Durchsetzungsfähigkeit, Reichtum und Anerkennung. Über Leichen sollst du gehen.

Warlikowski nimmt die äußere Dramatik aus dem Spiel, stellt die streng kondensierte Handlung auf der Bühne mit einer Überdosis Schuld-Valium ruhig. Schöne große Seelenbilder entstehen. Dazu spielt das Abakus-Quartett schwerblütige Elegien. In aller Ruhe ist so die Interpretation in das Stück hineinzuschnitzen, aus dem Stück herauszuassoziieren. Schade nur, dass der Regisseur dabei nicht dem vorzüglichen Ensemble vertraut.

Wird Macbeth von einer Wahnvorstellung heimgesucht, verlöscht die Tischlampe vor ihm, ist der Wahn vorbei, wird sie wieder angeknipst. Dabei kann Fabian Gerhardt dieses anfallartige Neben-sich-Stehen auch ganz ausgezeichnet mit schauspielerischen Mitteln verdeutlichen. Auch benötigt er zum Ausdruck seines Innenlebens nicht die übermächtigen Film-Projektionen von Deutschlands Lieblingshelden Jung-Siegfried aus Fritz Langs „Nibelungen“.

Überdeutlich, so setzt Warlikowski seine Theatermittel ein. Wenn Unheil naht, erglüht die Bühne rot. Wenn „Geilheit steigt“, wie es in der sinnlichen Übersetzung Thomas Braschs heißt, muss sich ein einbeiniger Schotten-Darsteller ein Kondom über den Kopf ziehen, es aufblasen … Na? Verstanden? Alles klar. Ein großer Premierenerfolg.

fis

Nächste Vorstellung: 24. September, 19.30 Uhr