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Archiv-Artikel

Vom Sternenlicht durchlöchert

Ein explosionsartiges Durcheinander von Farbe und Licht: Corinne Wasmuth in der Kunthalle Baden-Baden

In der fast fertig umgebauten Kunsthalle Baden-Baden schafft Corinne Wasmuths Malerei aus den letzten 15 Jahren eine vom Baulärm uneinnehmbare Zone ruhiger Wahrnehmung. Man steht lange vor diesen großformatigen Bildern, einfach nur um zu schauen. Nach dem ersten Versuch, das ganze Bild zu erfassen, bleibt der Blick schließlich an einem Punkt haften, um die äußerst exakt gemalten Details – ob von „Kröten“ oder „Mikroskopischer Anatomie“ – abzutasten. Erst wenn es sich aus der sklavischen Verfolgung der Linien- und Punktmuster wieder löst, wenn es die variierenden Form- und Farbmuster als Oberflächen bekannter Gegenstände wahrnimmt, beginnt die eigentlich aufregende Bilderfahrung. Die Kröten und Gewebeschnitte haben Volumen, aber keinen Raum. Was sie durch Modellierung und Detailschilderung an Dinghaftigkeit gewinnen, wird ihnen durch den Verzicht auf perspektivische Darstellung und Raumtiefe genommen. Die Strategie dieser altmeisterlichen Lasurmalerei, die jedem Ort auf der Bildfläche die gleiche Präsenz und Wertigkeit gibt, erlebt der Betrachter als permanentes Umspringen der Wahrnehmung vom Raum in die Fläche.

Corinne Wasmuth, 1964 in Dortmund geboren, hatte Kindheit und Jugend in Argentinien verbracht, bevor sie in Düsseldorf Malerei studierte. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin und Buenos Aires und lehrt an der Kunstakademie in Karlsruhe. Schon ihre frühen Bilder sind das Ergebnis einer langen Formfindungsprozedur. Die erste Idee ist immer ein Anstoß von außen, meistens ein zufälliger Bildfund. Es folgt der Rückgriff auf eigene Vorarbeiten, auf eine Sammlung von collagierten Bildausschnitten aus Zeitungen, Lehrbüchern, eigenen Fotografien und Filmstills, geordnet nach Themen und Motiven. Skizzen und Detailstudien nach solchen Vorlagen führen dann zur ausgearbeiteten Vorzeichnung für die Übertragung in Ölmalerei auf Holz.

Als Wasmuth bei einem Besuch im Hamburger Völkerkundemuseum die Idee zu ihrem Bilderzyklus „Haare“ kam, gab es bereits den „Haare“-Ordner mit schön frisierten Köpfen aus Modezeitschriften und Kunstbüchern. Jedes der fast drei Meter hohen Tableaus besteht aus einem braun- oder goldtonig gemalten All-over von kunstvoll geflochtenen Frisurfragmenten. Für die Collage als Prinzip für die Generierung von Bildern aus Bildern findet Wasmuth immer neue Spielarten. Kaleidoskopartig zersplittert, die Facetten grellbunt und scharfkantig, so präsentieren sich „Menschen im Kunstlicht“ (1999).

Ein spannender Moment in der Baden-Badener Ausstellung ist die Entdeckung, dass den Gemälden, die ab 2000 entstanden, eine andere Auffassung vom Bildgegenstand zugrunde liegt. War es zuvor der Gegensatz zwischen Sachlichkeit im Einzelnen und Vagheit im Ganzen, der die Aufmerksamkeit auf das eigene Sehen lenkte, so gibt bei jüngeren Bildern die Übersetzung in Malerei Rätsel auf. Zerfaserte Flächen von Blau und Rot, dazu Fluchtlinien unter einem Schleier von Lichtflecken: Das Bild vom Düsseldorfer Hauptbahnhof mit dem Titel „Gate 11“ lässt Gegenständliches nur erahnen. Teile der Architektur, Autos und ein Stück Bettzeug tauchen in verschiedenen Raumfolien auf. Der langwierige Prozess bis zum Aufbau der Malschicht in mehreren Lasuren gilt nun nicht mehr der Wiedergabe von Realität, sondern ihrer Auflösung in ein Chaos von Lichtreflexen und Spiegelungen. Das bewegungslose Nebeneinander von Dingen ist einem explosionsartigen Durcheinander von Farb- und Lichtphänomenen gewichen.

Damit verfolgt Wasmuth die Strategie, die Bildbetrachtung so zu verlangsamen, dass sich das „was-sehe-ich“ zum „wie-ich-sehe“ verschiebt. Beim Bild „Gewalt“ (2001) dauert es einige Zeit, bis man in den roten und violetten Farbflecken hinter einem Schleier weißer Punkte die Konturen von Menschen in gewaltsamen Kämpfen wahrnimmt. Aus dem Internet heruntergeladene Pressefotos vom Israel-Palästina-Konflickt, von blutigen Unruhen in Los Angeles und einem sternklaren Nachthimmel waren Ausgangsmaterial. Wie vom friedlichen Sternenlicht durchlöchert erscheint die Gewalt.

GABRIELE HOFFMANN

Bis 16. November, Katalog (Hatje Cantz) 17 €